Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 550)

in Papieren so viel gemacht hatte, daß er gefallen war. Die Frauen waren vergessen, und an solche Isolierung gewöhnt, hielten sie feierlich die Teetassen in der Hand, strichen die Falten an ihren Gewändern zurecht und bewegten anmutig Hals und Arm, daß ihre Ketten und Armbänder im Kerzenlicht blitzten.

Da ward die Unterhaltung durch ein Geräusch unterbrochen, eine Tür ging auf, allgemeine Stille entstand, ein schwerer Armstuhl wurde in das Zimmer gerollt.

Auf diesem Armstuhl saß ein alter Mann mit weißem Haar, ein dickes aufgedunsenes Gesicht, zwei glotzende Augen, welche vor sich hin starrten, der Leib gekrümmt, die Arme schlaff über die Lehne herabhängend. Das war Hirsch Ehrenthal, ein blödsinniger Greis. Als der Stuhl in die Mitte der Versammlung niedergesetzt war, sah er sich langsam um, nickte mit dem Kopf und wiederholte die eingelernten Worte: »Guten Abend, guten Abend.« Seine Frau beugte sich zu ihm herab und rief mit lauter Stimme in sein Ohr: »Kennst du die Herrschaften, welche hier sind? Es ist die Verwandtschaft.«

»Ich weiß«, nickte die Gestalt, »es ist eine Soiree. – Sie sind alle gegangen zu einer großen Soiree, und ich bin allein geblieben in meiner Stube. – Und ich habe gesessen an seinem Bett. Wo ist der Bernhard, daß er nicht kommt zu seinem alten Vater?« Die Anwesenden, welche den Lehnstuhl umringt hatten, traten verlegen zurück, und die Hausfrau schrie dem Alten wieder ins Ohr: »Bernhard ist verreist, aber deine Tochter Rosalie ist hier.«

»Verreist ist er?« frug der Alte traurig, »wohin kann er doch sein verreist? Ich habe ihm wollen kaufen ein Pferd, daß er kann darauf reiten, ich habe ihm kaufen wollen ein Gut, damit er soll leben als ein anständiger Mensch, was er immer ist gewesen. Ich weiß«, rief er, »als ich ihn habe gesehn das letzte Mal, ist er gewesen auf einem Bett. Auf dem Bett hat er gelegen, und er hat seine Hand erhoben und hat sie geschüttelt gegen seinen Vater.« Er sank in den Stuhl zurück und wimmerte leise.

»Komm her, Rosalie«, rief die Mutter, geängstigt durch diese Phantasie des Schwachsinnigen. »Wenn dich der Vater sieht, mein Kind, kommt er auf andere Gedanken.« Die Tochter trat heran und kniete, ihr Taschentuch unterbreitend, vor dem Stuhl des Vaters. »Kennst du mich, Vater?« rief sie.

»Ich kenne dich«, sprach der Alte, »du bist ein Weib. Was braucht ein Weib zu liegen auf der Erde? Gebt mir meinen Gebetsmantel und sprecht die Gebete. Ich will knien an deiner Stelle und beten, denn es ist gekommen eine lange Nacht. Aber wenn sie wird vorüber sein, dann werden wir anzünden die Lichter und werden essen. Dann wird es Zeit sein, daß wir die bunten Kleider anziehn. – Was trägst du einen bunten Rock, jetzt, wo der Herr zürnt auf die Gemeinde?« – Er begann ein Gebet zu murmeln und sank wieder in sich zusammen.

Rosalie erhob sich unwillig; die Mutter sagte in großer Verlegenheit: »Es ist heut ärger mit ihm, als es jemals gewesen ist. Ich habe gewollt, daß der Vater gegenwärtig sein sollte beim Ehrentage der Tochter, aber ich sehe, daß

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