Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 552)

wirst du in einer fremden Stadt sitzen, wohin du fliehst, um dem Spott der Boshaften zu entrinnen. Du gehst nicht im Schmerz unter, und deine Wange erbleicht nicht; du hast ein glänzendes Aussehen, und dein Vater hat viel Geld zusammengescharrt; du findest mehr als einen, der bereit ist, der Nachfolger von Itzig zu werden. Dein Los ist, einem heimzufallen, der dein Kapital heiratet und deine Glieder mit vergnügtem Lachen in Kauf nimmt, und du wirst ihn vom ersten Tage deiner Ehe an verachten, und wirst ihn ertragen, wie man einen Schaden trägt, den der Arzt nicht wegschaffen kann. Neue Gewänder von glänzender Seide wirst du tragen, und ein anderer Goldschmuck wird an deinem Arm klirren, und der Inhalt deines Lebens wird sein, als geschmückte Puppe umherzuwandeln und deinen Mann höhnisch mit andern Männern zu vergleichen. Das Geld aber, welches der alte Ehrenthal durch Wucher und Schlauheit mit tausend Sorgen für seine Kinder zusammengebracht hat, das wird wieder rollen aus einer Hand in die andere, es wird dienen den Guten und Bösen, und wird dahinfließen in den mächtigen Strom der Kapitalien, dessen Bewegung das Menschenleben erhält und verschönert, das Volk und den Staat groß macht und den einzelnen stark oder elend, je nach seinem Tun.

Draußen war finstere Nacht, durch die dicke Luft rieselte ein kalter Sprühregen, und die Haut der Fußgänger schauerte unter den dichten Herbstkleidern. Itzig sprang die Treppe hinab. Er hörte noch auf den Stufen eine bebende Stimme: »Die Polizei ist in der Wohnung, sie stehn im Hofe, sie lauern auf der Treppe, sie brechen die Stubentür auf.« Dann hörte er nichts mehr, eine furchtbare Angst überschüttete seine Seele. Mit rasender Schnelligkeit fuhren die Gedanken durch sein Haupt. Flucht, Flucht, schrie alles in ihm. Er fühlte nach seiner Tasche, worin er seit der letzten Woche einen Teil seines Vermögens herumtrug. Er dachte an die Züge der Eisenbahn, es war nicht die Stunde, wo ein Zug abging, der ihn zum Meere führen konnte. Und auf allen Bahnhöfen fand er Verfolger, die auf ihn lauerten. So rannte er hinein in die Nacht durch enge Gassen in entlegene Stadtteile. Wo eine Laterne brannte, fuhr er zurück. Immer flüchtiger wurde sein Gang, immer verworrener der Zug seiner Gedanken. Endlich verließ ihn die Kraft, er kauerte in eine Ecke und preßte die Hände an seinen Kopf, um die Gedanken zusammenzuhalten. Da hörte er das dumpfe Horn des Wächters in seiner Nähe, wenige Schritte von ihm stand der Mann, und seine Hellebarde klapperte an den Schlüsseln, die er am Gürtel trug. Tief zur Erde beugte sich der Flüchtige, die Angst schnürte ihm die Brust zusammen, daß er stöhnte, obgleich es sein Leben galt. Auch hier war die Gefahr. Wieder stürzte er zwischen den Häuserreihen vorwärts auf den einzigen Ort zu, der noch deutlich vor seiner Seele stand, vor dem er sich graute, wie vor dem Tode, und zu dem es ihn doch hinzog, als zu dem letzten Versteck, das er auf Erden noch hatte. Als er in die Nähe der Herberge kam, sah er einen

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