Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 553)

dunklen Schatten vor der Tür. Dort hatte der kleine Mann oft in der Dunkelheit gestanden und auf den heimkehrenden Veitel gewartet. Auch heute stand er dort und wartete auf ihn. Der Unselige fuhr zurück und wieder näher heran, die Tür war frei. Er fuhr mit der Hand nach einem verborgenen Drücker und schlüpfte hinein. Aber hinter ihm hob sich wieder drohend der Schatten aus dem Dunkel eines vorspringenden Kellers, er glitt hinter ihm an die Tür und blieb dort regungslos stehn. Der Flüchtling zog seine Stiefel aus und huschte die Treppe hinauf. Er fühlte sich im Finstern an eine Stubentür, öffnete sie mit zitternder Hand und griff nach einem Schlüsselbund an der Wand. Mit den Schlüsseln eilte er durch den Saal auf die Galerie, wie in weiter Ferne hörte er die Atemzüge schlafender Menschen. Er stand vor der Treppentür. Ein heftiger Schauer schüttelte seine Glieder, wankend stieg er hinunter, Stufe auf Stufe. Als er den Fuß in das Wasser setzte, hörte er ein klägliches Stöhnen. Er hielt sich an die Holzwand, wie der andere getan, und starrte hinunter. Wieder stöhnte es aus tiefster Brust, er merkte, daß er es selbst war, der so Atem holte. Mit dem Fuß suchte er den Gang im Wasser. Das Wasser war gestiegen seit jener Zeit, es ging ihm hoch über das Knie, er hatte Grund gefunden und stand im Wasser.

Finster war die Nacht, immer noch rieselte der Regen durch die schwere Luft, der Nebel überzog Häuser und Galerien längs dem Flusse, nur undeutlich trat eine Wassertreppe, ein stützender Pfeiler oder das Giebeldach eines Hauses aus der dunkelgrauen Masse hervor. Das Wasser staute sich an den alten Pfählen, den Treppen und den Vorsprüngen der Häuser und murmelte eintönig. Es war der einzige Laut in der finstern Nacht, und er drang wie Donnergetös in das Ohr des Mannes. Alle Qual der Verdammten fühlte er jetzt, wo er watend, mit den Händen fühlend, durch Wasser und Regen seinen Weg suchte. Er klammerte sich an das schlüpfrige Holz der Pfähle, um nicht zu sinken. Er stand an der Treppe des Nachbarhauses, er fühlte nach den Schlüsseln in seiner Tasche, noch ein Schwung um die Ecke, und sein Fuß berührte die Stufen der Treppe. Da, als er sich wenden wollte, fuhr er kraftlos zurück, der gehobene Fuß sank in das Wasser, vor sich auf dem Pfahlwerk über der Flut sah er eine dunkle, gebückte Gestalt. Er konnte die Umrisse des alten Hutes erkennen, er sah trotz der Finsternis die häßlichen Züge eines wohlbekannten Gesichts. Unbeweglich saß die Erscheinung vor ihm. Er fuhr mit der Hand an seine Augen und in die Luft, als wollte er sie wegwischen. Es war keine Täuschung, das Gespenst saß wenige Schritt vor ihm. Endlich streckte das Schreckliche eine Hand aus nach Itzigs Brust. Mit einem Schrei fuhr der Verbrecher zurück, sein Fuß glitt von dem Wege herunter, er fiel bis an den Hals ins Wasser. So stand er im Strom, über ihm heulte der Wind, an seinem Ohr rauschte das Wasser immer wilder, immer

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