Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 561)

Unglücksvögel rufen in alle Lüfte, daß auch die fremden Einwanderer dem alten Slawenfluch verfallen sind, der auf dem Schlosse und auf dem Grunde liegt.

Aber den Mann, welcher jetzt im Schloß gebietet, kümmert es wenig, ob eine Dohle schreit, oder die Lerche; und wenn ein Fluch auf seinem Boden liegt, er bläst lachend in die Luft und bläst ihn hinweg. Sein Leben wird ein unaufhörlicher siegreicher Kampf sein gegen die finstern Geister der Landschaft; und aus dem Slawen­schloß wird eine Schar kraftvoller Knaben herausspringen, und ein neues deutsches Geschlecht, dauerhaft an Leib und Seele, wird sich über das Land verbreiten, ein Geschlecht von Kolonisten und Eroberern.

Mit wenigen herzlichen Worten zeigte Fink dem Freund seine Verlobung und den Tod der Baronin an. Ein versiegelter Brief an Sabine lag dem Schreiben bei.

Es war Abend, als der Postbote den Brief in Antons Zimmer brachte. Lange saß Anton den Kopf auf die Hand gestützt vor der Botschaft, endlich ergriff er den Brief an Sabine und eilte nach dem Vorderhaus.

Er traf den Kaufmann im Arbeitszimmer und übergab diesem den Brief. Der Kaufmann rief sogleich Sabine herein. »Fink ist verlobt, hier die Anzeige an dich.«

Sabine schlug erfreut die Hände zusammen und eilte auf Anton zu, aber sie hielt errötend auf dem Wege an, trug den Brief zur Lampe und öffnete. Es mußte nicht vieles darin stehen, denn sie war im Augenblick zu Ende; sie mühte sich ernsthaft auszusehen, aber der Mund gehorchte ihr nicht, sie vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken, Anton hätte zu anderer Zeit diese Stimmung mit leidenschaftlichem Interesse beobachtet, heut achtete er kaum darauf.

»Sie bleiben doch heut abend bei uns, lieber Wohlfart?« frug der Kaufmann.

Anton erwiderte: »Ich selbst wollte Sie bitten, mir einige Minuten zu schenken. Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.« Er sah unruhig auf Sabine.

»Lassen Sie hören! – Bleib, Sabine«, rief der Kaufmann der Schwester zu, welche nach Antons Worten entschlüpfen wollte. »Ihr seid gute Freunde, Herr Wohlfart wird an deiner Gegenwart keinen Anstoß nehmen. Sprechen Sie, Freund, womit kann ich Ihnen dienen?«

Anton preßte die Lippen zusammen und blickte wieder auf die Geliebte, welche an den Türpfosten gelehnt vor sich niedersah. »Darf ich fragen, Herr Schröter«, begann er endlich mit Überwindung, »ob Sie die Stelle gefunden haben, welche Ihre Güte mir vermitteln wollte?«

Sabine bewegte sich unruhig, auch der Kaufmann sah verwundert auf. »Ich glaube, Ihnen etwas anbieten zu können, aber eilt das so sehr, lieber Wohlfart?«

»Ja«, erwiderte Anton feierlich. »Ich habe keinen Tag zu verlieren. Meine Beziehungen zu der Familie Rothsattel sind jetzt völlig gelöst, die furchtbaren Ereignisse, welche noch in den letzten Wochen durch meine Tätigkeit herbeigeführt wurden, haben auch meinen Körper angegriffen. Ich sehne mich nach Ruhe. Regelmäßige Arbeit in einer fremden Stadt, wo mich nichts mehr an die Vergangenheit erinnert, ist mir jetzt Bedürfnis.«

Wieder bewegte sich Sabine, ein ernster Blick des Bruders hielt sie zurück.

»Und diese Ruhe, die auch ich für Sie wünsche, können Sie bei uns nicht finden?« frug der Kaufmann.

»Nein«, erwiderte Anton mit klangloser Stimme, »ich bitte Sie mir nicht zu zürnen, wenn ich heut von Ihnen Abschied

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