Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 16)
Oranien kommt.
Egmont: Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien: Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont: Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts Außerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht ganz wohl.
Oranien: Merktet Ihr nicht, daß sie zurückhaltender war? Erst wollte sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pöbels gelassen billigen, nachher merkte sie an, was sich doch auch für ein falsches Licht darauf werfen lasse, wich dann mit dem Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen Diskurs: daß man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns Niederländern nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daß nichts einen erwünschten Ausgang nehmen wolle, daß sie am Ende wohl müde werden, der König sich zu andern Maßregeln entschließen müsse. Habt Ihr das gehört?
Egmont: Nicht alles, ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein Weib, guter Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr sanftes Joch gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte und ihren Kunkelhof vermehrte; daß, weil sie friedlich gesinnt sind, die Gärung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe und die widrigsten Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten. Das ist ihr Fall, und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und zu drohen – daß sie fortgehn will.
Oranien: Glaubt Ihr dasmal nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?
Egmont: Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehen! Wo will sie denn hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie es unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln oder nach Italien zu gehn und sich in alten Familienverhältnissen herumzuschleppen?
Oranien: Man hält sie dieser Entschließung nicht fähig, weil ihr sie habt zaudern, weil ihr sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt’s wohl in ihr: neue Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluß. Wenn sie ginge? und der König schickte einen andern?
Egmont: Nun, der würde kommen und würde eben auch zu tun finden. Mit großen Planen, Projekten und Gedanken würde er kommen, wie er alles zurechtrücken, unterwerfen und zusammenhalten wolle, und würde heut mit dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, übermorgen jene Hindernis finden, einen Monat mit Entwürfen, einen andern mit Verdruß über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen über eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daß er, statt weite Meere nach einer vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.
Oranien: Wenn man nun aber dem König zu einem Versuch riete?
Egmont: Der wäre?
Oranien: Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont: Wie?
Oranien: Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsre Verhältnisse am Herzen, ich stehe immer wie über einem Schachspiele und halte keinen Zug des Gegners für unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt ich es für Pflicht, für Beruf eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller Parteien zu kennen. Ich habe Ursache, einen Ausbruch zu befürchten. Der König hat lang nach gewissen Grundsätzen gehandelt, er sieht, daß er damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daß er es auf einem andern Wege versucht?
Egmont: Ich glaub’s nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl genug haben.
Oranien: Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont: Nun?
Oranien: Das Volk zu schonen und die Fürsten zu verderben.
Egmont: Wie viele haben das schon lang gefürchtet! Es ist keine Sorge.
Oranien: Sonst war’s Sorge, nach und nach ist mir’s Vermutung, zuletzt Gewißheit geworden.
Egmont: Und hat der König treure Diener als uns?
Oranien: Wir dienen ihm auf unsre Art, und untereinander können wir gestehen, daß wir des Königs Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen wissen.
Egmont: Wer tut’s nicht? Wir sind ihm untertan und gewärtig in dem, was ihm zukommt.
Oranien: Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte, was wir heißen: auf unsre Rechte halten?
Egmont: Wir werden uns verteidigen können. Er rufe die Ritter des Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien: Und was wäre ein Urteil vor der Untersuchung, eine Strafe vor dem Urteil?
Egmont: Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird, und eine Torheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.
Oranien: Und wenn sie nun ungerecht und törig wären?
Egmont: Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu legen? – Uns gefangenzunehmen, wär ein verloren und fruchtloses Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht übers Land brächte, würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie? Richten und verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie meuchelmördrisch an unser Leben? – Sie können nicht wollen. Ein schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haß und ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.