Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 17)
Oranien: Die Flamme wütete dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer Feinde flösse zum leeren Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont!
Egmont: Wie sollten sie aber?
Oranien: Alba ist unterwegs.
Egmont: Ich glaub’s nicht.
Oranien: Ich weiß es.
Egmont: Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien: Um desto mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont: Aufs neue die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst schwierig werden.
Oranien: Man wird sich der Häupter versichern.
Egmont: Nein! Nein!
Oranien: Laß uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns verstärken; mit offner Gewalt fängt er nicht an.
Egmont: Müssen wir ihn nicht begrüßen, wenn er kommt?
Oranien: Wir zögern.
Egmont: Und wenn er uns im Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?
Oranien: Suchen wir Ausflüchte.
Egmont: Und wenn er dringt?
Oranien: Entschuldigen wir uns.
Egmont: Und wenn er drauf besteht?
Oranien: Kommen wir um so weniger.
Egmont: Und der Krieg ist erklärt, und wir sind die Rebellen. Oranien, laß dich nicht durch Klugheit verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien: Ich hab ihn bedacht.
Egmont: Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist: an dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist das Signal, das die Provinzen mit einem Male zu den Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben, wirst du mit einem Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an die Städte, die Edlen, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die Verwüstung, den Mord! – Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen Kameraden neben sich hinfallen – aber den Fluß herunter werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daß du mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weißt, wessen Sache du verteidigst, da die zugrunde gehen, für deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie wird dir’s sein, wenn du dir still sagen mußt: Für meine Sicherheit ergriff ich sie.