Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 19)

DRITTER AUFZUG

Palast der Regentin

Margarete von Parma.

Ich hätte mir’s vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und Arbeit vor sich hin lebt, denkt man immer, man tue das möglichste; und der von weiten zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das mögliche. – O die Könige! – Ich hätte nicht geglaubt, daß es mich so verdrießen könnte. Es ist so schön zu herrschen! – Und abzudanken? – Ich weiß nicht, wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.

Machiavell erscheint im Grunde.

Regentin: Tretet näher, Machiavell. Ich denke hier über den Brief meines Bruders.

Machiavell: Ich darf wissen, was er enthält?

Regentin: Soviel zärtliche Aufmerksamkeit für mich als Sorgfalt für seine Staaten. Er rühmt die Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue, womit ich bisher für die Rechte Seiner Majestät in diesen Landen gewacht habe. Er bedauert mich, daß mir das unbändige Volk so viel zu schaffen mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen überzeugt, mit der Klugheit meines Betragens so außerordentlich zufrieden, daß ich fast sagen muß: der Brief ist für einen König zu schön geschrieben, für einen Bruder gewiß.

Machiavell: Es ist nicht das erstemal, daß er Euch seine gerechte Zufriedenheit bezeigt.

Regentin: Aber das erstemal, daß es rednerische Figur ist.

Machiavell: Ich versteh Euch nicht.

Regentin: Ihr werdet. – Denn er meint nach diesem Eingange: ohne Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine üble Figur spielen; wir hätten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen; eine Besatzung, meint er, die dem Bürger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, große Sprünge zu machen.

Machiavell: Es würde die Gemüter äußerst aufbringen.

Regentin: Der König meint aber, hörst du. – Er meint, daß ein tüchtiger General, so einer, der gar keine Räson annimmt, gar bald mit Volk und Adel, Bürgern und Bauern fertig werden könne – und schickt deswegen mit einem starken Heere – den Herzog von Alba.

Machiavell: Alba?

Regentin: Du wunderst dich?

Machiavell: Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?

Regentin: Der König fragt nicht. Er schickt.

Machiavell: So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten haben.

Regentin: In meinen Diensten? Rede gradheraus, Machiavell.

Machiavell: Ich möcht Euch nicht vorgreifen.

Regentin: Und ich möchte mich verstellen. Es ist mir empfindlich, sehr empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er’s denkt, als daß er förmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.

Machiavell: Sollte man nicht einsehen? –

Regentin: Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie möchten’s gern gesäubert und gekehrt haben, und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist’s, als wenn ich den König und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sähe!

Machiavell: So lebhaft?

Regentin: Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der ehrliche Rodrich, der so erfahren und mäßig ist, nicht zu hoch will und doch nichts fallen läßt, der grade Alonzo, der fleißige Freneda, der feste Las Vargas und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige Toledaner mit der ehrnen Stirne und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zähnen von Weibergüte, unzeitigem Nachgeben, und daß Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Späße, die ich ehemals von den politischen Herrn habe mit durchhören müssen.

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