Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 21)
Egmont in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt: Klärchen!
Klärchen tut einen Schrei, fährt zurück: Egmont! Sie eilt auf ihn zu: Egmont! Sie umarmt ihn und ruht an ihm. O du Guter, Lieber, Süßer! Kommst du? Bist du da!
Egmont: Guten Abend, Mutter!
Mutter: Gott grüß Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen, daß Ihr so lang ausbleibt, sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet und gesungen.
Egmont: Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter: Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.
Klärchen: Freilich! Seid nur ruhig, Mutter, ich habe schon alles darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter: Schmal genug.
Klärchen: Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich gar keinen Hunger, da sollte er auch keinen großen Appetit haben, wenn ich bei ihm bin.
Egmont: Meinst du?
Klärchen stampft mit dem Fuße und kehrt sich unwillig um.
Egmont: Wie ist dir?
Klärchen: Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuß angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu haben.
Egmont: Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer steht und dem Feinde etwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen, faßt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein Liebhaber –
Mutter: Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich muß in die Küche. Klärchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt vorliebnehmen.
Egmont: Euer guter Wille ist die beste Würze.
Mutter ab
Klärchen: Und was wäre denn meine Liebe?
Egmont: So viel du willst.
Klärchen: Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont: Zuvörderst also. Er wirft den Mantel ab und steht in einem prächtigen Kleide da.
Klärchen: O je!
Egmont: Nun hab ich die Arme frei. Er herzt sie.
Klärchen: Laßt! Ihr verderbt Euch. Sie tritt zurück. Wie prächtig! da darf ich Euch nicht anrühren.
Egmont: Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.
Klärchen: Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet nicht. – Ach und das Goldne Vlies!
Egmont: Da siehst du’s nun.
Klärchen: Das hat dir der Kaiser umgehängt?
Egmont: Ja, Kind! Und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter über meine Handlungen als den Großmeister des Ordens mit dem versammelten Kapitel der Ritter.
Klärchen: O du dürftest die ganze Welt über dich richten lassen. – Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte! – Man weiß nicht, wo man anfangen soll.
Egmont: Sieh dich nur satt.
Klärchen: Und das Goldne Vlies! Ihr erzähltet mir die Geschichte und sagtet, es sei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh und Fleiß verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar – ich kann’s deiner Liebe vergleichen – ich trage sie ebenso am Herzen – und hernach –
Egmont: Was willst du sagen?
Klärchen: Hernach vergleicht sich’s auch wieder nicht.
Egmont: Wieso?
Klärchen: Ich habe sie nicht mit Müh und Fleiß erworben. Nicht verdient.
Egmont: In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich nicht darum bewirbst – und die Leute erhalten sie auch meist allen, die nicht darnach jagen.
Klärchen: Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze Anmerkung über dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt.
Egmont: Hätt ich nur etwas für sie getan, könnt ich etwas für sie tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klärchen: Du warst gewiß heute bei der Regentin?
Egmont: Ich war bei ihr.
Klärchen: Bist du gut mit ihr?