Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 20)

Machiavell: Ihr habt zu dem Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.

Regentin: Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus der ich allenfalls malen könnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei ihm gleich ein Gotteslästerer, ein Majestätenschänder, denn aus diesem Kapitel kann man sie alle sogleich rädern, pfählen, vierteilen und verbrennen. – Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiß in der Ferne wie nichts aus, eben weil’s gut ist. – Da hängt er sich an jeden Mutwillen, der vorbei ist, erinnert jede Unruhe, die gestillt ist, und es wird dem Könige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit, daß er sich vorstellt, sie fräßen sich hier einander auf, wenn eine flüchtig vorübergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist. Da faßt er einen recht herzlichen Haß auf die armen Leute, sie kommen ihm abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor, er sieht sich nach Feuer und Schwert um und wähnt, so bändige man Menschen.

Machiavell: Ihr scheint mir zu heftig. Ihr nehmt die Sache zu hoch. Bleibt Ihr nicht Regentin?

Regentin: Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen – Ich bin in Staatsgeschäften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen verdrängt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. – Erst wird er eine Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich greifen, denn er hat die Gewalt, und wenn ich mich beklage, wird er eine geheime Instruktion vorschützen; wenn ich sie sehen will, wird er mich herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz was anders enthält, und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr tun, als wenn ich redete. – Indes wird er, was ich fürchte, getan und, was ich wünsche, weit abwärts gelenkt haben.

Machiavell: Ich wollt, ich könnt Euch widersprechen.

Regentin: Was ich mit unsäglicher Geduld beruhigte, wird er durch Härte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein Werk verloren sehn und überdies noch seine Schuld zu tragen haben.

Machiavell: Erwarten’s Eure Hoheit.

Regentin: So viel Gewalt hab ich über mich, um stille zu sein. Laß ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh er mich verdrängt.

Machiavell: So rasch diesen wichtigen Schritt?

Regentin: Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer’s hergebracht hat, daß jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz behaupten wollen, den ihm ein andrer abgeerbt hat und nun besitzt und genießt.

Klärchens Wohnung

Klärchen. Mutter.

Mutter: So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.

Klärchen gebt in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen summend:

Glücklich allein

Ist die Seele, die liebt.

Mutter: Er vermutet deinen Umgang mit Egmont, und ich glaube, wenn du ihm ein wenig freundlich tätest, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.

Klärchen singt: Freudvoll

Und leidvoll,

Gedankenvoll sein,

Langen

Und bangen

In schwebender Pein,

Himmelhoch jauchzend,

Zum Tode betrübt –

Glücklich allein

Ist die Seele, die liebt.

Mutter: Laß das Heiopopeio.

Klärchen: Scheltet mir’s nicht, es ist ein kräftig Lied; hab ich doch schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.

Mutter: Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur nicht alles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten, sag ich dir! Er kann dich noch einmal glücklich machen.

Klärchen: Er?

Mutter: O ja! es kommt eine Zeit! – Ihr Kinder seht nichts voraus und überhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat sein Ende, und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.

Klärchen schaudert, schweigt und fährt auf: Mutter, laßt die Zeit kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! – Und wenn er kommt! Wenn wir müssen – dann – wollen wir uns gebärden, wie wir können! – Egmont, ich dich entbehren! – In Tränen: Nein, es ist nicht möglich, nicht möglich.

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