Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 27)
Alba: Alles, was ich von jeher an dir geschätzt habe, Mut, Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausführen, das zeige heut.
Silva: Ich danke Euch, daß Ihr mir Gelegenheit gebt, zu zeigen, daß ich der alte bin.
Alba: Sobald die Fürsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich, Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht, die übrigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva: Vertrau auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine wohlberechnete Sonnenfinsternis, pünktlich und schrecklich treffen.
Alba: Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva: Alle. Egmonten vor andern. Er ist der einzige, der, seit du hier bist, sein Betragen nicht geändert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd aufs andre, lädt Gäste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel, würfelt, schießt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht, sie bleiben bei sich, vor ihrer Türe sieht’s aus, als wenn ein Kranker im Hause wäre.
Alba: Drum rasch, eh sie uns wider Willen genesen.
Silva: Ich stelle sie. Auf deinen Befehl überhäufen wir sie mit dienstfertigen Ehren. Ihnen graut’s: politisch geben sie uns einen ängstlichen Dank, fühlen, das Rätlichste sei zu entfliehen; keiner wagt einen Schritt, sie zaudern, können sich nicht vereinigen; und einzeln etwas Kühnes zu tun, hält sie der Gemeingeist ab. Sie möchten gern sich jedem Verdacht entziehen und machen sich immer verdächtiger. Schon seh ich mit Freuden deinen ganzen Anschlag ausgeführt.
Alba: Ich freue mich nur über das Geschehne, und über das nicht leicht, denn es bleibt stets noch übrig, was uns zu denken und zu sorgen gibt. Das Glück ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswürdige zu adeln und wohlüberlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren. Verweile, bis die Fürsten kommen, dann gib Gomez die Ordre, die Straßen zu besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die übrigen gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und meld es meinem Sohne, daß er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva: Ich hoffe diesen Abend vor dir stehn zu dürfen.
Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.
Silva: Ich traue mir es nicht zu sagen, aber meine Hoffnung schwankt, ich fürchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir, die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fürsten und vieler Tausende wägen. Langsam wankt das Zünglein auf und ab, tief scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene, angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist’s. Ab.
Alba mit Ferdinand hervortretend: Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand: Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum Zeitvertreib, straßauf, straßab. Eure wohlverteilten Wachen halten die Furcht so angespannt, daß sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt sieht einem Felde ähnlich, wenn das Gewitter von weiten leuchtet: man erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte schlüpft.
Alba: Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand: Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grüßten uns, er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben mußte. “Laßt uns eilen, Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!” rief er mir entgegen. Er werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme auf Euer Verlangen, mit Euch zu ratschlagen.