Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 25)
Zimmermann: Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in meinem Leben so etwas gesagt hätte, hielt’ ich mich keine Minute für sicher.
Vansen: Seid nur ruhig. Gott im Himmel erfährt nichts von euch Würmern, geschweige der Regent.
Jetter: Lästermaul!
Vansen: Ich weiß andre, denen es besser wäre, sie hätten statt ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermann: Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen: Hm! den Grafen mein ich.
Jetter: Egmonten? Was soll der fürchten?
Vansen: Ich bin ein armer Teufel und könnte ein ganzes Jahr leben von dem, was er in einem Abende verliert. Und doch könnt er mir sein Einkommen eines ganzen Jahrs geben, wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde hätte.
Jetter: Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als dein Hirn.
Vansen: Redt Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betrügen sich am ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter: Was er schwätzt! So ein Herr!
Vansen: Eben weil er kein Schneider ist.
Jetter: Ungewaschen Maul!
Vansen: Dem wollt ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder wünschen, daß sie ihm da Unruh machte und ihn so lang neckte und juckte, bis er aus der Stadt müßte.
Jetter: Ihr redet recht unverständig; er ist so sicher wie der Stern am Himmel.
Vansen: Hast du nie einen sich schneuzen gesehen? Weg war er!
Zimmermann: Wer will ihm denn was tun?
Vansen: Wer will? Willst du’s etwa hindern? Willst du einen Aufruhr erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
Jetter: Ah!
Vansen: Wollt ihr eure Rippen für ihn wagen?
Soest: Eh!
Vansen sie nachäffend: Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze Alphabet. So ist’s und bleibt’s. Gott bewahre ihn!
Jetter: Ich erschrecke über Eure Unverschämtheit. So ein edler, rechtschaffner Mann sollte was zu befürchten haben?
Vansen: Der Schelm sitzt überall im Vorteil. Auf dem Armensünderstühlchen hat er den Richter für’n Narren, auf dem Richterstuhl macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld von Hofe erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen verhört hatte.
Zimmermann: Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn heraus verhören, wenn einer unschuldig ist?
Vansen: O Spatzenkopf! Wo nichts heraus zu verhören ist, da verhört man hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine Unschuld, wie sie’s heißen, und sagt alles gradzu, was ein Verständiger verbärge. Dann macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen und paßt ja auf, wo irgendein Widersprüchelchen erscheinen will; da knüpft er seinen Strick an, und läßt sich der dumme Teufel betreten, daß er hier etwas zuviel, dort etwas zuwenig gesagt oder wohl aus Gott weiß was für einer Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich hat schrecken lassen – dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobnen, verrückten, verdrückten, geschloßnen, bekannten, geleugneten Anzeichen und Umständen sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu zusammenkünstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hängen zu können. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hängen sehen.
Jetter: Der hat eine geläufige Zunge.
Zimmermann: Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures Gespinstes.
Vansen: Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne; nicht einer dickbäuchigen, die sind weniger schlimm, aber so einer langfüßigen, schmalleibigen, die vom Fraß nicht feist wird und recht dünne Fäden zieht, aber desto zähere.
Jetter: Egmont ist Ritter des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten Orden. Dein loses Maul, dein böses Gewissen verführen dich zu solchem Geschwätze.
Vansen: Will ich ihm darum übel? Mir kann’s recht sein. Es ist ein trefflicher Herr! Ein paar meiner guten Freunde, die anderwärts schon wären gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schläge verabschiedet. Nun geht! Geht! Ich rat es euch selbst. Dort seh ich wieder eine Runde antreten: die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brüderschaft mit uns trinken würden. Wir wollen’s abwarten und nur sachte zusehen. Ich hab ein paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wölfe.