Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 15)

im blauen Raum verloren,

Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,

Wenn über schroffen Fichtenhöhen

Der Adler ausgebreitet schwebt

Und über Flächen, über Seen

Der Kranich nach der Heimat strebt.

WAGNER. Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,

Doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden.

Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;

Des Vogels Fittich werd ich nie beneiden.

Wie anders tragen uns die Geistesfreuden

Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!

Da werden Winternächte hold und schön,

Ein selig Leben wärmet alle Glieder,

Und ach, entrollst du gar ein würdig Pergamen,

So steigt der ganze Himmel zu dir nieder!

FAUST. Du bist dir nur des einen Triebs bewußt;

O lerne nie den andern kennen!

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,

Die eine will sich von der andern trennen:

Die eine hält in derber Liebeslust

Sich an die Welt mit klammernden Organen;

Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust

Zu den Gefilden hoher Ahnen.

O gibt es Geister in der Luft,

Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,

So steiget nieder aus dem goldnen Duft

Und führt mich weg zu neuem, buntem Leben!

Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!

Und trüg er mich in fremde Länder,

Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder,

Nicht feil um einen Königsmantel sein!

WAGNER. Berufe nicht die wohlbekannte Schar,

Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,

Dem Menschen tausendfältige Gefahr

Von allen Enden her bereitet!

Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn

Auf dich herbei mit pfeilgespitzten Zungen;

Von Morgen ziehn vertrocknend sie heran

Und nähren sich von deinen Lungen.

Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,

Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,

So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,

Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.

Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,

Gehorchen gern, weil sie uns gern betriegen;

Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt

Und lispeln englisch, wenn sie lügen. –

Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,

Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!

Am Abend schätzt man erst das Haus. –

Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?

Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?

FAUST. Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?

WAGNER. Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

FAUST. Betracht ihn recht! für was hältst du das Tier?

WAGNER. Für einen Pudel, der auf seine Weise

Sich auf der Spur des Herren plagt.

FAUST. Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise

Er um uns her und immer näher jagt?

Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel

Auf seinen Pfaden hinterdrein.

WAGNER. Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;

Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

FAUST. Mir scheint es, daß er magisch-leise Schlingen

Zu künftgem Band um unsre Füße zieht.

WAGNER.

Ich seh ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,

Weil er statt seines Herrn zwei Unbekannte sieht.

FAUST. Der Kreis wird eng! schon ist er nah!

WAGNER. Du siehst, ein Hund, und kein Gespenst ist da!

Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,

Er wedelt: alles Hundebrauch.

FAUST. Geselle dich zu uns!

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