Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 16)

komm hier!

WAGNER. Es ist ein pudelnärrisch Tier.

Du stehest still, er wartet auf;

Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;

Verliere was, er wird es bringen,

Nach deinem Stock ins Wasser springen.

FAUST. Du hast wohl recht: ich finde nicht die Spur

Von einem Geist, und alles ist Dressur.

WAGNER. Dem Hunde, wenn er gut gezogen,

Wird selbst ein weiser Mann gewogen.

Ja, deine Gunst verdient er ganz und gar,

Er, der Studenten trefflicher Skolar.

Sie gehen in das Stadttor.

Studierzimmer

 

FAUST mit dem Pudel hereintretend.

 

Verlassen hab ich Feld und Auen,

Die eine tiefe Nacht bedeckt,

Mit ahnungsvollem, heilgem Grauen

In uns die beßre Seele weckt.

Entschlafen sind nun wilde Triebe

Mit jedem ungestümen Tun;

Es reget sich die Menschenliebe,

Die Liebe Gottes regt sich nun. –

Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und wider!

An der Schwelle was schnoperst du hier?

Lege dich hinter den Ofen nieder:

Mein bestes Kissen geb ich dir.

Wie du draußen auf dem bergigen Wege

Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,

So nimm nun auch von mir die Pflege

Als ein willkommner, stiller Gast.

Ach! wenn in unsrer engen Zelle

Die Lampe freundlich wieder brennt,

Dann wirds in unserm Busen helle,

Im Herzen, das sich selber kennt.

Vernunft fängt wieder an zu sprechen,

Und Hoffnung wieder an zu blühn;

Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,

Ach! nach des Lebens Quelle hin. –

Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen,

Die jetzt meine ganze Seel umfassen,

Will der tierische Laut nicht passen.

Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,

Was sie nicht verstehn,

Daß sie vor dem Guten und Schönen,

Das ihnen oft beschwerlich ist, murren:

Will es der Hund wie sie beknurren?

 

Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen,

Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.

Aber warum muß der Strom so bald versiegen

Und wir wieder im Durste liegen?

Davon hab ich so viel Erfahrung.

Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen:

Wir lernen das Überirdische schätzen,

Wir sehnen uns nach Offenbarung,

Die nirgends würdger und schöner brennt

Als in dem Neuen Testament.

Mich drängts, den Grundtext aufzuschlagen,

Mit redlichem Gefühl einmal.

Das heilige Original

In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.

Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort

Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,

Ich muß es anders übersetzen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

Bedenke wohl die erste Zeile,

Daß deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!

Doch auch indem ich dieses niederschreibe,

Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat

Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! –

 

Soll ich mit dir das Zimmer teilen,

Pudel, so laß das Heulen,

So laß das Bellen!

Solch einen störenden Gesellen

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