Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 57)
Köpfen.
DIE UNBEHÜLFLICHEN.
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
IRRLICHTER. Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Die glänzenden Galanten.
STERNSCHNUPPE. Aus der Höhe schoß ich her
Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer:
Wer hilft mir auf die Beine?
DIE MASSIVEN. Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder;
Geister kommen, Geister auch,
Sie haben plumpe Glieder.
PUCK. Tretet nicht so mastig auf
Wie Elefantenkälber!
Und der Plumpst an diesem Tag
Sei Puck, der Derbe, selber!
ARIEL. Gab die liebende Natur,
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur:
Auf zum Rosenhügel!
ORCHESTER pianissimo. Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr –
Und alles ist zerstoben.
Trüber Tag. Feld
Faust, Mephistopheles.
FAUST. Im Elend! Verzweifelt! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt
und nun gefangen! Als Missetäterin im Kerker zu entsetzlichen
Qualen eingesperrt das holde, unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin! –
Verräterischer, nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht!
Steh nur, steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf
herum! Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart! –
Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen Geistern übergeben
und der richtenden, gefühllosen Menschheit! – Und mich wiegst du
indes in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir ihren wachsenden
Jammer und lässest sie hülflos verderben!
MEPHISTOPHELES. Sie ist die Erste nicht!
FAUST. Hund! abscheuliches Untier! – Wandle ihn, du unendlicher
Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich
oft nächtlicher Weile gefiel, vor mir herzutrotten, dem harmlosen
Wandrer vor die Füße zu kollern und sich dem Niederstürzenden auf
die Schultern zu hängen! Wandl ihn wieder in seine Lieblingsbildung,
daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete,
den Verworfnen! – »Die Erste nicht!« – Jammer! Jammer! von keiner
Menschenseele zu fassen, daß mehr als Ein Geschöpf in die Tiefe
dieses Elendes versank, daß nicht das erste genugtat für die Schuld
aller übrigen in seiner windenden Todesnot vor den Augen des ewig
Verzeihenden! Mir wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser
Einzigen; du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!
MEPHISTOPHELES. Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres
Witzes, da, wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst
du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst?
Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns
dir auf, oder du dich uns?
FAUST. Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen!
Mir ekelts! – Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen
würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele, warum an den
Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und
am Verderben sich letzt?
MEPHISTOPHELES. Endigst du?
FAUST. Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich
auf Jahrtausende!
MEPHISTOPHELES. Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine
Riegel nicht öffnen. – »Rette sie!« – Wer wars, der sie ins Verderben
stürzte? Ich oder du?