Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 58)
style="margin-left:11.35pt;">FAUST blickt wild umher.
MEPHISTOPHELES. Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er
euch elenden Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig
Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so Tyrannenart, sich in
Verlegenheiten Luft zu machen.
FAUST. Bringe mich hin! Sie soll frei sein!
MEPHISTOPHELES. Und die Gefahr, der du dich aussetzest? Wisse:
noch liegt auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand! Über des
Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf
den wiederkehrenden Mörder.
FAUST. Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer!
Führe mich hin, sag ich, und befrei sie!
MEPHISTOPHELES. Ich führe dich, und was ich tun kann, höre!
Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des Türners Sinne
will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie
heraus mit Menschenhand! Ich wache! die Zauberpferde sind bereit,
ich entführe euch. Das vermag ich.
FAUST. Auf und davon!
Nacht. Offen Feld
Faust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daherbrausend.
FAUST. Was weben die dort um den Rabenstein?
MEPHISTOPHELES. Weiß nicht, was sie kochen und schaffen.
FAUST. Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
MEPHISTOPHELES. Eine Hexenzunft!
FAUST. Sie streuen und weihen.
MEPHISTOPHELES. Vorbei! vorbei!
Kerker
FAUST mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe
vor einem eisernen Türchen.
Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
Hier wohnt sie, hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst, zu ihr zu gehen?
Du fürchtest, sie wiederzusehen?
Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.
MARGARETE.
Meine Mutter, die Hur,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einem kühlen Ort –
Da ward ich ein schönes Waldvögelein,
Fliege fort, fliege fort!
FAUST aufschließend. Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht. Er tritt ein.
MARGARETE sich auf dem Lager verbergend.
Weh! weh! sie kommen. Bittrer Tod!
FAUST leise. Still! still! ich komme, dich zu befreien.
MARGARETE sich vor ihn hinwälzend.
Bist du ein Mensch, so fühle meine Not!
FAUST. Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.
MARGARETE auf den Knien.
Wer hat dir, Henker, diese Macht
Über mich gegeben?
Du holst mich schon um Mitternacht!
Erbarme dich und laß mich leben!
Ists morgen früh nicht zeitig genung? Sie steht auf.
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab ich dir getan?
Laß mich nicht vergebens flehen!
Hab ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
FAUST. Werd ich den Jammer überstehen?
MARGARETE. Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken!
Ich herzt es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mirs, um mich zu kränken,
Und sagen nun, ich hätt es umgebracht,
Und niemals werd ich wieder froh.
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