Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 7)

Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durchklingen!

 

Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!

Wo faß ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie von neuem Wein.

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen!

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht –

Die Lampe schwindet –

Es dampft – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und faßt mich an!

Ich fühls, du schwebst um mich, erflehter Geist:

Enthülle dich!

Ha! wies in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All meine Sinnen sich erwühlen!

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du mußt! du mußt! und kostet' es mein Leben!

Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus.

Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.

 

GEIST. Wer ruft mir?

FAUST abgewendet. Schreckliches Gesicht!

GEIST. Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

FAUST.     Weh! ich ertrag dich nicht!

GEIST. Du flehst eratmend, mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn:

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf

Und trug und hegte? die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleichzuheben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

FAUST. Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

Ich bins, bin Faust, bin deinesgleichen!

GEIST. In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Wehe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben:

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

FAUST. Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

GEIST. Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir! Verschwindet.

FAUST zusammenstürzend. Nicht dir?

Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

 

Es klopft.

 

O Tod! ich kenns – das ist mein Famulus!

Es wird mein schönstes Glück zunichte!

Daß diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muß!

 

Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand.

Faust wendet sich unwillig.

 

WAGNER. Verzeiht! ich hör Euch deklamieren;

Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren;

Denn heutzutage wirkt das viel.

Ich hab es

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