Ungekürztes Werk "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 6)
unsrer Herberg ist nichts als Stroh.
MARTIN: Auch gut. Wie heißt du?
GEORG: Georg, ehrwürd'ger Herr!
MARTIN: Georg! da hast du einen tapfern Patron.
GEORG: Sie sagen, er sei ein Reiter gewesen; das will ich auch sein.
MARTIN: Warte! Zieht ein Gebetbuch hervor und gibt dem Buben einen Heiligen. Da hast du ihn. Folge seinem Beispiel, sei brav und fürchte Gott! Martin geht.
GEORG: Ach ein schöner Schimmel! Wenn ich einmal so einen hätte! – Und die goldene Rüstung! – Das ist ein garstiger Drach – Jetzt schieß ich nach Sperlingen – Heiliger Georg! mach mich groß und stark, gib mir so eine Lanze, Rüstung und Pferd, dann laß mir die Drachen kommen!
Jagsthausen
Götzens Burg.
Elisabeth. Maria. Karl, sein Söhnchen.
KARL: Ich bitte dich, liebe Tante, erzähl mir das noch einmal vom frommen Kind, 's is gar zu schön.
MARIA: Erzähl du mir's, kleiner Schelm, da will ich hören, ob du achtgibst.
KARL: Wart e bis, ich will mich bedenken. – Es war einmal – ja – es war einmal ein Kind, und sein Mutter war krank, da ging das Kind hin –
MARIA: Nicht doch. Da sagte die Mutter: “Liebes Kind –”
KARL: “Ich bin krank –”
MARIA: “Und kann nicht ausgehn –”
KARL: Und gab ihm Geld und sagte: “Geh hin und hol dir ein Frühstück.” Da kam ein armer Mann –
MARIA: Das Kind ging, da begegnet' ihm ein alter Mann, der war – nun, Karl?
KARL: Der war – alt –
MARIA: Freilich! Der kaum mehr gehen konnte, und sagte: “Liebes Kind –”
KARL: “Schenk mir was, ich habe kein Brot gessen gestern und heut.” Da gab ihm 's Kind das Geld –
MARIA: Das für sein Frühstück sein sollte.
KARL: Da sagte der alte Mann –
MARIA: Da nahm der alte Mann das Kind –
KARL: Bei der Hand, und sagte – und ward ein schöner glänzender Heiliger, und sagte: “Liebes Kind –”
MARIA: “Für deine Wohltätigkeit belohnt dich die Mutter Gottes durch mich: welchen Kranken du anrührst –”
KARL: “Mit der Hand” – es war die rechte, glaub ich.
MARIA: Ja.
KARL: “Der wird gleich gesund.”
MARIA: Da lief das Kind nach Haus und konnt für Freuden nichts reden.
KARL: Und fiel seiner Mutter um den Hals und weinte für Freuden –
MARIA: Da rief die Mutter: “Wie ist mir!” und war – nun, Karl?
KARL: Und war – und war –
MARIA: Du gibst schon nicht acht! – und war gesund. Und das Kind kurierte König und Kaiser und wurde so reich, daß es ein großes Kloster bauete.
ELISABETH: Ich kann nicht begreifen, wo mein Herr bleibt. Schon fünf Tag und Nächte, daß er weg ist, und er hoffte, so bald seinen Streich auszuführen.
MARIA: Mich ängstigt's lang. Wenn ich so einen Mann haben sollte, der sich immer Gefahren aussetzte, ich stürbe im ersten Jahr.
ELISABETH: Dafür dank ich Gott, daß er mich härter zusammengesetzt hat.
KARL: Aber muß dann der Vater ausreiten, wenn's so gefährlich ist?
MARIA: Es ist sein guter Wille so.
ELISABETH: Wohl muß er, lieber Karl.
KARL: Warum?
ELISABETH: Weißt du noch, wie er das letztemal ausritt, da er dir Weck mitbrachte?
KARL: Bringt er mir wieder mit?
ELISABETH: Ich glaub wohl. Siehst du, da war ein Schneider