Ungekürztes Werk "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 53)

des Rächers!

ALLE: Weh! Weh! Weh!

ÄLTESTER: Rächer! Rächer, tritt auf!

Rächer tritt vor.

ÄLTESTER: Faß hier Strang und Schwert, sie zu tilgen von dem Angesicht des Himmels binnen acht Tage Zeit. Wo du sie findest, nieder mit ihr in Staub! – Richter, die ihr richtet im Verborgenen und strafet im Verborgenen, Gott gleich, bewahrt euer Herz vor Missetat und eure Hände vor unschuldigem Blut.

Hof einer Herberge

Maria. Lerse.

MARIA: Die Pferde haben genug gerastet. Wir wollen fort, Lerse.

LERSE: Ruht doch bis an Morgen. Die Nacht ist gar zu unfreundlich.

MARIA: Lerse, ich habe keine Ruhe, bis ich meinen Bruder gesehen habe. Laß uns fort! Das Wetter hellt sich aus, wir haben einen schönen Tag zu gewarten.

LERSE: Wie Ihr befehlt.

Heilbronn

Im Turn.

Götz. Elisabeth.

ELISABETH: Ich bitte dich, lieber Mann, rede mit mir. Dein Stillschweigen ängstet mich. Du verglühst in dir selbst. Komm, laß uns nach deinen Wunden sehen; sie bessern sich um vieles. In der mutlosen Finsternis erkenn ich dich nicht mehr.

GÖTZ: Suchtest du den Götz? Der ist lang hin. Sie haben mich nach und nach verstümmelt, meine Hand, meine Freiheit, Güter und guten Namen. Mein Kopf, was ist an dem? – Was hört Ihr von Georgen? Ist Lerse nach Georgen?

ELISABETH: Ja, Lieber! Richtet Euch auf, es kann sich vieles wenden.

GÖTZ: Wen Gott niederschlägt, der richtet sich selbst nicht auf. Ich weiß am besten, was auf meinen Schultern liegt. Unglück bin ich gewohnt zu dulden. Und jetzt ist's nicht Weislingen allein, nicht die Bauern allein, nicht der Tod des Kaisers und meine Wunden – Es ist alles zusammen. Meine Stunde ist kommen. Ich hoffte, sie sollte sein wie mein Leben. Sein Wille geschehe.

ELISABETH: Willt du nicht was essen?

GÖTZ: Nichts, meine Frau. Sieh, wie die Sonne draußen scheint.

ELISABETH: Ein schöner Frühlingstag.

GÖTZ: Meine Liebe, wenn du den Wächter bereden könntest, mich in sein klein Gärtchen zu lassen auf eine halbe Stunde, daß ich der lieben Sonne genösse, des heitern Himmels und der reinen Luft.

ELISABETH: Gleich! und er wird's wohl tun.

Gärtchen am Turn

Maria. Lerse.

MARIA: Geh hinein und sieh, wie's steht.

Lerse ab.

Elisabeth. Wächter.

ELISABETH: Gott vergelt Euch die Lieb und Treu an meinem Herrn.

Wächter ab.

Maria, was bringst du?

MARIA: Meines Bruders Sicherheit. Ach, aber mein Herz ist zerrissen. Weislingen ist tot, vergiftet von seinem Weibe. Mein Mann ist in Gefahr. Die Fürsten werden ihm zu mächtig, man sagt, er sei eingeschlossen und belagert.

ELISABETH: Glaubt dem Gerüchte nicht. Und laßt Götzen nichts merken.

MARIA: Wie steht's um ihn?

ELISABETH: Ich fürchtete, er würde deine Rückkunft nicht erleben. Die Hand des Herrn liegt schwer auf ihm. Und Georg ist tot.

MARIA: Georg! der goldne Junge!

ELISABETH: Als die Nichtswürdigen Miltenberg verbrannten, sandte ihn sein Herr, ihnen Einhalt zu tun. Da fiel ein Trupp Bündischer auf sie los. – Georg! hätten sie sich alle gehalten wie er, sie hätten alle das gute Gewissen haben müssen. Viel wurden erstochen, und Georg mit: er starb einen Reiterstod.

MARIA: Weiß es Götz?

ELISABETH: Wir verbergen's vor ihm. Er fragt mich zehnmal des Tags und schickt mich zehnmal des Tags zu forschen, was Georg macht. Ich fürchte, seinem Herzen diesen letzten Stoß zu geben.

MARIA: O Gott, was sind die Hoffnungen dieser Erden!

Götz. Lerse. Wächter.

GÖTZ: Allmächtiger Gott! Wie wohl ist's einem unter deinem Himmel! Wie frei! – Die Bäume treiben Knospen, und alle Welt hofft. Lebt wohl, meine Lieben; meine Wurzeln sind abgehauen, meine Kraft sinkt nach dem Grabe.

ELISABETH: Darf ich Lersen nach deinem Sohn ins Kloster schicken, daß du ihn noch einmal siehst und segnest?

GÖTZ: Laß ihn, er ist heiliger als ich, er braucht meinen Segen nicht. – An unsrem Hochzeittag, Elisabeth, ahnte mir's nicht, daß ich so sterben würde. – Mein alter Vater segnete uns, und eine Nachkommenschaft von edeln, tapfern Söhnen quoll aus seinem Gebet. – Du hast ihn nicht erhört, und ich bin der Letzte. – Lerse, dein Angesicht freut mich in der Stunde des Todes mehr als im mutigsten Gefecht. Damals führte mein Geist den eurigen, jetzt hältst du mich aufrecht. Ach, daß ich Georgen noch einmal sähe, mich an seinem Blick wärmte! – Ihr seht zur Erden und weint – Er ist tot – Georg ist tot. – Stirb, Götz – Du hast dich selbst überlebt, die Edeln überlebt. – Wie starb er? – Ach, fingen sie ihn unter den Mordbrennern, und er ist hingerichtet?

ELISABETH: Nein, er wurde bei Miltenberg erstochen. Er wehrte sich wie ein Löw um seine Freiheit.

GÖTZ: Gott sei Dank! Er war der beste Junge unter der Sonne und tapfer. – Löse meine Seele nun! – Arme Frau! Ich lasse dich in einer verderbten Welt. Lerse, verlaß sie nicht! Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Tore. Es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen. Maria, gebe dir Gott deinen Mann wieder. Möge er nicht so tief fallen, als er hoch gestiegen ist! Selbitz starb, und der gute Kaiser, und mein Georg. – Gebt mir einen Trunk Wasser. – Himmlische Luft – Freiheit! Er Stirbt.

ELISABETH: Nur droben, droben bei dir. Die Welt ist ein Gefängnis.

MARIA: Edler Mann! Edler Mann! Wehe dem Jahrhundert, das dich von sich stieß!

LERSE: Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt!

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