Ungekürztes Werk "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 51)

Schloß

Weislingen.

WEISLINGEN: Ich bin so krank, so schwach. Alle meine Gebeine sind hohl. Ein elendes Fieber hat das Mark ausgefressen. Keine Ruh und Rast, weder Tag noch Nacht. Im halben Schlummer giftige Träume. Die vorige Nacht begegnete ich Götzen im Wald. Er zog sein Schwert und forderte mich heraus. Ich faßte nach meinem, die Hand versagte mir. Da stieß er's in die Scheide, sah mich verächtlich an und ging hinter mich. – Er ist gefangen, und ich zittre vor ihm. Elender Mensch! Dein Wort hat ihn zum Tode verurteilt, und du bebst vor seiner Traumgestalt wie ein Missetäter! – Und soll er sterben? – Götz! Götz! – Wir Menschen führen uns nicht selbst; bösen Geistern ist Macht über uns gelassen, daß sie ihren höllischen Mutwillen an unserm Verderben üben. Setzt sich. – Matt! Matt! Wie sind meine Nägel so blau! – Ein kalter, kalter, verzehrender Schweiß lähmt mir jedes Glied. Es dreht mir alles vorm Gesicht. Könnt ich schlafen! Ach –

Maria tritt auf.

WEISLINGEN: Jesus Marie! – Laß mir Ruh! Laß mir Ruh! – Die Gestalt fehlte noch! Sie sirbt, Marie stirbt und zeigt sich mir an. – Verlaß mich, seliger Geist, ich bin elend genug.

MARIA: Weislingen, ich bin kein Geist. Ich bin Marie.

WEISLINGEN: Das ist ihre Stimme.

MARIA: Ich komme, meines Bruders Leben von dir zu erflehen. Er ist unschuldig, so strafbar er scheint.

WEISLINGEN: Still, Marie! Du Engel des Himmels bringst die Qualen der Hölle mit dir. Rede nicht fort!

MARIA: Und mein Bruder soll sterben? Weislingen, es ist entsetzlich, daß ich dir zu sagen brauche: er ist unschuldig; daß ich jammern muß, dich von dem abscheulichsten Morde zurückzuhalten. Deine Seele ist bis in ihre innersten Tiefen von feindseligen Mächten besessen. Das ist Adelbert!

WEISLINGEN: Du siehst, der verzehrende Atem des Todes hat mich angehaucht, meine Kraft sinkt nach dem Grabe. Ich stürbe als ein Elender, und du kommst, mich in Verzweiflung zu stürzen. Wenn ich reden könnte, dein höchster Haß würde in Mitleid und Jammer zerschmelzen. O Marie! Marie!

MARIA: Weislingen, mein Bruder verkranket im Gefängnis. Seine schweren Wunden, sein Alter! Und wenn du fähig wärst, sein graues Haupt – Weislingen, wir würden verzweifeln.

WEISLINGEN: Genug. Zieht die Schelle.

Franz in äußerster Bewegung.

FRANZ: Gnädiger Herr.

WEISLINGEN: Die Papiere dort, Franz!

Franz bringt sie.

WEISLINGEN reißt ein Paket auf und zeigt Marien ein Papier: Hier ist deines Bruders Todesurteil unterschrieben.

MARIA: Gott im Himmel!

WEISLINGEN: Und so zerreiß ich's! Er lebt! Aber kann ich wieder schaffen, was ich zerstört habe? Weine nicht so, Franz! Guter Junge, dir geht mein Elend tief zu Herzen.

Franz wirft sich vor ihm nieder und faßt seine Knie.

MARIA vor sich: Er ist sehr krank. Sein Anblick zerreißt mir das Herz. Wie liebt ich ihn! und nun ich ihm nahe, fühl ich, wie lebhaft.

WEISLINGEN: Franz, steh auf und laß das Weinen! Ich kann wieder aufkommen. Hoffnung ist bei den Lebenden.

FRANZ: Ihr werdet nicht. Ihr müßt sterben.

WEISLINGEN: Ich muß?

FRANZ: außer sich: Gift! Gift! Von Euerm Weibe! – Ich! Ich!

Rennt davon.

WEISLINGEN: Marie, geh ihm nach. Er verzweifelt.

Maria ab.

Gift von meinem Weibe! Weh! Weh! Ich fühl's. Marter und Tod!

MARIA

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