Ungekürztes Werk "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 52)
inwendig: Hülfe! Hülfe!
WEISLINGEN will aufstehn: Gott, vermag ich das nicht!
MARIA kommt: Er ist hin. Zum Saalfenster hinaus stürzt' er wütend in den Main hinunter.
WEISLINGEN: Ihm ist wohl. – Dein Bruder ist außer Gefahr. Die übrigen Kommissarien, Seckendorf besonders, sind sein Freunde. Ritterlich Gefängnis werden sie ihm auf sein Wort gleich gewähren. Leb wohl, Maria, und geh.
MARIA: Ich will bei dir bleiben, armer Verlaßner.
WEISLINGEN: Wohl verlassen und arm! Du bist ein furchtbarer Rächer, Gott! – Mein Weib –
MARIA: Entschlage dich dieser Gedanken. Kehre dein Herz zu dem Barmherzigen.
WEISLINGEN: Geh, liebe Seele, überlaß mich meinem Elend. – Entsetzlich! Auch deine Gegenwart, Marie, der letzte Trost, ist Qual.
MARIA vor sich: Stärke mich, o Gott! Meine Seele erliegt mit der seinigen.
WEISLINGEN: Weh! Weh! Gift von meinem Weibe! – Mein Franz verführt durch die Abscheuliche! Wie sie wartet, horcht auf den Boten, der ihr die Nachricht bringe: er ist tot. Und du, Marie! Marie, warum bist du gekommen, daß du jede schlafende Erinnerung meiner Sünden wecktest! Verlaß mich! Verlaß mich, daß ich sterbe.
MARIA: Laß mich bleiben! Du bist allein. Denk, ich sei deine Wärterin. Vergiß alles. Vergesse dir Gott so alles, wie ich dir alles vergesse.
WEISLINGEN: Du Seele voll Liebe, bete für mich, bete für mich! Mein Herz ist verschlossen.
MARIA: Er wird sich deiner erbarmen. – Du bist matt.
WEISLINGEN: Ich sterbe, sterbe und kann nicht ersterben. Und in dem fürchterlichen Streit des Lebens und Todes sind die Qualen der Hölle.
MARIA: Erbarmer, erbarme dich seiner! Nur einen Blick deiner Liebe an sein Herz, daß es sich zum Trost öffne und sein Geist Hoffnung, Lebenshoffnung in den Tod hinüberbringe!
In einem finstern engen Gewölbe
Die Richter des heimlichen Gerichts. Alle vermummt.
ÄLTESTER: Richter des heimlichen Gerichts, schwurt auf Strang und Schwert, unsträflich zu sein, zu richten im Verborgnen, zu strafen im Verborgnen, Gott gleich! Sind eure Herzen rein und eure Hände, hebt die Arme empor, ruft über die Missetäter: Wehe! Wehe!
ALLE: Wehe! Wehe!
ÄLTESTER: Rufer, beginne das Gericht!
RUFER: Ich Rufer rufe die Klag gegen den Missetäter. Des Herz rein ist, dessen Händ rein sind zu schwören auf Strang und Schwert, der klage bei Strang und Schwert! klage! klage!
KLÄGER tritt vor: Mein Herz ist rein von Missetat, meine Hände von unschuldigem Blut. Verzeih mir Gott böse Gedanken und hemme den Weg zum Willen! Ich hebe meine Hand auf und klage! klage! klage!
ÄLTESTER: Wen klagst du an?
KLÄGER: Klage an auf Strang und Schwert Adelheiden von Weislingen. Sie hat Ehebruchs sich schuldig gemacht, ihren Mann vergiftet durch ihren Knaben. Der Knab hat sich selbst gerichtet, der Mann ist tot.
ÄLTESTER: Schwörst du zu dem Gott der Wahrheit, daß du Wahrheit klagst?
KLÄGER: Ich schwöre.
ÄLTESTER: Würd es falsch befunden, beutst du deinen Hals der Strafe des Mords und des Ehebruchs?
KLÄGER: Ich biete.
ÄLTESTER: Eure Stimmen.
Sie reden heimlich zu ihm.
KLÄGER: Richter des heimlichen Gerichts, was ist euer Urteil über Adelheiden von Weislingen, bezüchtigt des Ehebruchs und Mords?
ÄLTESTER: Sterben soll sie! sterben des bittern doppelten Todes. Mit Strang und Dolch büßen doppelt doppelte Missetat. Streckt eure Hände empor und rufet Weh über sie. Weh! Weh! In die Hände