Ungekürztes Werk "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 18)

Fremden bittern Tod.

Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer

Und von dem blut’gen Dienste sein Gemüt.

Ja, mancher, den ein widriges Geschick

An fremdes Ufer trug, empfand es selbst,

Wie göttergleich dem armen Irrenden,

Umhergetriebnen an der fremden Grenze

Ein freundlich Menschenangesicht begegnet.

O wende nicht von uns, was du vermagst!

Du endest leicht, was du begonnen hast:

Denn nirgends baut die Milde, die herab

In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt,

Ein Reich sich schneller, als wo trüb und wild

Ein neues Volk voll Leben, Mut und Kraft,

Sich selbst und banger Ahnung überlassen,

Des Menschenlebens schwere Bürden trägt.

Iphigenie:

Erschüttre meine Seele nicht, die du

Nach deinem Willen nicht bewegen kannst.

Arkas:

Solang es Zeit ist, schont man weder Mühe

Noch eines guten Wortes Wiederholung.

Iphigenie:

Du machst dir Müh, und mir erregst du Schmerzen;

Vergebens beides: darum laß mich nun.

Arkas:

Die Schmerzen sind’s, die ich zu Hülfe rufe:

Denn es sind Freunde, Gutes raten sie.

Iphigenie:

Sie fassen meine Seele mit Gewalt,

Doch tilgen sie den Widerwillen nicht.

Arkas:

Fühlt eine schöne Seele Widerwillen

Für eine Wohltat, die der Edle reicht?

Iphigenie:

Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt,

Statt meines Dankes mich erwerben will.

Arkas:

Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es

An einem Worte der Entschuld’gung nie.

Dem Fürsten sag ich an, was hier geschehn.

O wiederholtest du in deiner Seele,

Wie edel er sich gegen dich betrug

Von deiner Ankunft an bis diesen Tag!

Iphigenie allein:

Von dieses Mannes Rede fühl ich mir

Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen

Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke! –

Denn wie die Flut mit schnellen Strömen wachsend

Die Felsen überspült, die in dem Sand

Am Ufer liegen: so bedeckte ganz

Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt

In meinen Armen das Unmögliche.

Es schien sich eine Wolke wieder sanft

Um mich zu legen, von der Erde mich

Emporzuheben und in jenen Schlummer

Mich einzuwiegen, den die gute Göttin

Um meine Schläfe legte, da ihr Arm

Mich rettend faßte. – Meinen Bruder

Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:

Ich horchte nur auf seines Freundes Rat;

Nur sie zu retten, drang die Seele vorwärts.

Und wie den Klippen einer wüsten Insel

Der Schiffer gern den Rücken wendet: so

Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme

Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt,

Daß ich auch Menschen hier verlasse, mich

Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug

Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele!

Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln?

Den festen Boden deiner Einsamkeit

Mußt du verlassen! Wieder eingeschifft,

Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trüb

Und bang verkennest du die Welt und dich.

Vierter Auftritt

Iphigenie. Pylades.

Pylades:

Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten

Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!

Iphigenie:

Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung

Des sichern Trostes, den du mir versprichst.

Pylades:

Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden

Des ungeweihten Ufers und den Sand

Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen;

Der Hain blieb hinter uns, wir merkten’s nicht.

Und herrlicher und immer herrlicher

Umloderte der Jugend schöne Flamme

Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte

Von Mut und Hoffnung, und sein freies Herz

Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust,

Dich, seine Retterin, und mich zu retten.

Iphigenie:

Gesegnet seist du, und es möge nie

Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,

Der Ton des Leidens und der Klage tönen!

Pylades:

Ich bringe mehr als das; denn schön begleitet

Gleich einem Fürsten pflegt das Glück zu nahn.

Auch die Gefährten haben wir gefunden.

In einer Felsenbucht verbargen sie

Das Schiff und saßen traurig und erwartend.

Sie sahen deinen Bruder, und es

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