Ungekürztes Werk "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 5)

Weib,

Önomaus’ Erzeugte, Hippodamien.

Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwei Söhne,

Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie

Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn, Aus einem andern Bette wachsend, an.

Der Haß verbindet sie, und heimlich wagt Das Paar im Brudermord die erste Tat.

Der Vater wähnet Hippodamien

Die Mörderin, und grimmig fordert er Von ihr den Sohn zurück, und sie entleibt

Sich selbst –

Thoas: Du schweigest? Fahre fort zu reden!

Laß dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!

Iphigenie:

Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,

Der froh von ihren Taten, ihrer Größe

Den Hörer unterhält und still sich freuend

Ans Ende dieser schönen Reihe sich

Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich

Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;

Erst eine Reihe Böser oder Guter

Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude

Der Welt hervor. – Nach ihres Vaters Tode

Gebieten Atreus und Thyest der Stadt,

Gemeinsam herrschend. Lange konnte nicht

Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest

Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus

Ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon

Thyest, auf schwere Taten sinnend, lange

Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich

Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.

Dem füllet er die Brust mit Wut und Rache

Und sendet ihn zur Königsstadt, daß er

Im Oheim seinen eignen Vater morde.

Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt: der König

Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend,

Er töte seines Bruders Sohn. Zu spät

Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen

Gemartert stirbt; und die Begier der Rache

Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still

Auf unerhörte Tat. Er scheint gelassen,

Gleichgültig und versöhnt und lockt den Bruder

Mit seinen beiden Söhnen in das Reich

Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie

Und setzt die ekle, schaudervolle Speise

Dem Vater bei dem ersten Mahle vor.

Und da Thyest an seinem Fleische sich

Gesättigt, eine Wehmut ihn ergreift,

Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme

Der Knaben an des Saales Türe schon

Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend

Ihm Haupt und Füße der Erschlagnen hin. –

Du wendest schaudernd dein Gesicht, o König:

So wendete die Sonn ihr Antlitz weg

Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleise.

Dies sind die Ahnherrn deiner Priesterin;

Und viel unseliges Geschick der Männer,

Viel Taten des verworrnen Sinnes deckt

Die Nacht mit schweren Fittichen und läßt

Uns nur in grauenvolle Dämmrung sehn.

Thoas:

Verbirg sie schweigend auch. Es sei genug

Der Greuel! Sage nun, durch welch ein Wunder

Von diesem wilden Stamme du entsprangst.

Iphigenie: Des Atreus ältster Sohn war Agamemnon:

Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen,

In ihm hab ich seit meiner ersten Zeit

Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn.

Ihm brachte Klytämnestra mich, den Erstling

Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte

Der König, und es war dem Hause Tantals

Die lang entbehrte Rast gewährt. Allein

Es mangelte dem Glück der Eltern noch

Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfüllt,

Daß zwischen beiden Schwestern nun Orest,

Der Liebling, wuchs, als neues Übel schon

Dem sichern Hause zubereitet war.

Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen,

Der, um den Raub der schönsten Frau zu rächen,

Die ganze Macht der Fürsten Griechenlands

Um Trojens Mauern lagerte. Ob sie

Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel

Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater führte

Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie

Auf günst’gen Wind vergebens: denn Diane,

Erzürnt auf ihren großen Führer, hielt

Die Eilenden zurück und forderte

Durch Kalchas’ Mund des Königs ältste Tochter.

Sie lockten mit der Mutter mich ins Lager;

Sie rissen mich vor den Altar

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