Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 15)

und den Schloßberg hinan, daß sein Pferd am Tor niederfiel und er selbst nur noch »Graf Kuno stirbt!« rufen konnte, ehe er ohnmächtig wurde.

Da donnerten die Kanonen von Hohenzollern herab; Graf Wolf freute sich mit seiner Mutter über das gute Faß Wein und das Erbe, den Teich, über den Schmuck und den starken Widerhall, den seine Kanonen gaben. Aber was er für Widerhall gehalten, waren die Kanonen von Schalksberg, und Wolf sagte lächelnd zu seiner Mutter: »So hat der Kleine auch einen Spion gehabt, und wir müssen auch den Wein gleich teilen wie das übrige Erbe.« Dann aber saß er zu Pferd, denn er argwöhnte, der Kleine Schalk möchte ihm zuvorkommen und vielleicht einige Kostbarkeiten des Verstorbenen wegnehmen, ehe er käme.

Aber am Fischteich begegneten sich die beiden Brüder, und jeder errötete vor dem andern, weil beide zuerst nach Hirschberg hatten kommen wollen. Von Kuno sprachen sie kein Wort, als sie zusammen ihren Weg fortsetzten, sondern sie berieten sich brüderlich, wie man es in Zukunft halten wolle und wem Hirschberg gehören solle. Wie sie aber über die Zugbrücke und in den Schloßhof ritten, da schaute ihr Bruder wohlbehalten und gesund zum Fenster heraus; aber Zorn und Unmut sprühten aus seinen Blicken.

Die Brüder erschraken sehr, als sie ihn sahen, hielten ihn anfänglich für ein Gespenst und bekreuzigten sich; als sie aber sahen, daß er noch Fleisch und Blut habe, rief Wolf: »Ei, so wollt' ich doch! Dummes Zeug, ich glaubte, du wärest gestorben.«

»Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, sagte der Kleine, der mit giftigen Blicken nach seinem Bruder hinaufschaute.

Dieser aber sprach mit donnernder Stimme: »Von dieser Stunde an sind alle Bande der Verwandtschaft zwischen uns los und ledig. Ich habe eure Freudenschüsse wohl vernommen; aber seht zu, auch ich habe fünf Feldschlangen hier auf dem Hof stehen und habe sie euch zu Ehren scharf laden lassen. Macht, daß ihr aus dem Bereich meiner Kugeln kommt, oder ihr sollt erfahren, wie man auf Hirschberg schießt!«

Sie ließen es sich nicht zweimal sagen, denn sie sahen ihm an, wie ernst es ihm war; sie gaben also ihren Pferden die Sporen und hielten einen Wettlauf den Berg hinunter, und ihr Bruder schoß eine Stückkugel hinter ihnen her, die über ihren Köpfen weg­sauste, daß sie beide zugleich eine tiefe und höfliche Verbeugung machten – er wollte sie aber nur schrecken und nicht verwunden.

»Warum hast du denn geschossen?« fragte der Kleine Schalk unmutig. »Du Tor, ich schoß nur, weil ich dich hörte.«

»Im Gegenteil, frag nur die Mutter!« erwiderte Wolf. »Du warst es, der zuerst schoß, und du hast diese Schande über uns gebracht, kleiner Dachs.«

Der Kleine blieb ihm keinen Ehrentitel schuldig, und als sie am Fischteich angekommen waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom alten Wetter von Zollern geerbten Flüche zum besten und trennten sich in Haß und Unlust.

Tags darauf aber machte Kuno sein Testament, und Frau Feldheimerin sagte zum Pater: »Ich wollte was wetten, er hat keinen guten Brief für die Schützen geschrieben.«

Aber so neugierig sie war und sooft sie in ihren Liebling drang, er sagte ihr

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