Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 14)

eure Seelen besser, wenn ihr nur halb so fromm und gut wärt als jene Frau, die ihr eine Hexe scheltet.«

»Nein, eine eigentliche Hexe ist sie nicht!« sagte der Schalk spöttisch lachend. »Solche Weiber können wahrsagen, aber Frau Feldheimerin ist sowenig eine Wahrsagerin, als eine Gans ein Schwan werden kann; hat sie doch dem Vater gesagt, von seinem Erbe werde man einen guten Teil um einen Hirschgulden kaufen können, das heißt, er werde ganz verlumpen – und doch hat bei seinem Tod alles ihm gehört, soweit man von der Zinne von Zollern sehen kann! Geh, geh, Frau Feldheimerin ist nichts als ein törichtes, altes Weib und du der Dumme Kuno.«

Nach diesen Worten entfernte sich der Kleine eilig, denn er fürchtete den starken Arm seines Bruders, und Wolf folgte ihm, indem er alle Flüche hersagte, die er von seinem Vater gelernt hatte.

In tiefster Seele betrübt ging Kuno nach Hause, denn er sah jetzt deutlich, daß seine Brüder sich nie mehr mit ihm vertragen wollten. Er nahm sich auch ihre harten Worte so sehr zu Herzen, daß er des andern Tages sehr krank wurde, und nur der Trost des würdigen Pater Josef und die kräftigen Tränklein der Frau Feldheimerin retteten ihn vom Tode.

Als aber seine Brüder erfuhren, daß ihr Bruder Kuno schwer daniederliege, hielten sie ein fröhliches Bankett, und im Weinmut sagten sie sich zu, wenn der Dumme Kuno sterbe, so solle der, welcher es zuerst erfahre, alle Kanonen lösen, um es dem andern anzuzeigen, und wer zuerst schieße, solle das beste Faß Wein aus Kunos Keller vorweg nehmen dürfen. Wolf ließ nun von da an immer einen Diener in der Nähe von Hirschberg Wache halten, und der Kleine Schalk bestach sogar einen Diener Kunos mit vielem Geld, damit er es ihm schnell anzeige, wenn sein Herr in den letzten Zügen liege.

Dieser Knecht aber war seinem milden und frommen Herrn mehr zugetan als dem bösen Grafen von Schalksberg. Er fragte also eines Abends Frau Feldheimerin teilnehmend nach dem Befinden seines Herrn, und als diese sagte, daß es ganz gut mit ihm stehe, erzählte er ihr den Anschlag der beiden Brüder und daß sie Freudenschüsse tun wollten auf des Grafen Kunos Tod. Darüber ergrimmte die Alte sehr. Sie erzählte es flugs wieder dem Grafen, und als dieser an eine so große Lieblosigkeit der Brüder nicht glauben wollte, so riet sie ihm, er solle die Probe machen und aussprengen lassen, er sei tot, so werde man bald hören, ob sie kanonieren oder nicht. Der Graf ließ den Diener, den sein Bruder bestochen hatte, vor sich kommen, befragte ihn nochmals und befahl ihm, nach Schalksberg zu reiten und sein nahes Ende zu verkünden.

Als nun der Knecht eilends den Hirschberg herabritt, sah ihn der Diener des Grafen Wolf von Zollern, hielt ihn an und fragte, wohin er eilends zu reiten willens sei. »Ach«, sagte dieser, »mein armer Herr wird diesen Abend nicht überleben; sie haben ihn alle aufgegeben.«

»So? Ist's um diese Zeit?« rief jener, lief nach seinem Pferd, schwang sich auf und jagte so eilends nach Zollern

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