Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 58)

aber kam einer zurück und sagte, er habe Said, den Ladendiener, aus einer Moschee kommen und in eine Karawanserei gehen sehen. Er sei aber ganz verändert, trage ein schönes Kleid, einen Dolch und einen Säbel und einen prachtvollen Turban.

Als Kalum-Bek dies hörte, schwor er und rief: »Bestohlen hat er mich und sich dafür gekleidet! Oh, ich geschlagener Mann!«

Dann lief er zum Aufseher der Polizei, und da man wußte, daß er ein Verwandter von Messour, dem Oberkämmerling, sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige Polizeidiener von ihm zu erlangen, um Said zu verhaften.

Said saß vor einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit einem Kaufmann, den er da gefunden, über eine Reise nach Balsora, seiner Vaterstadt, da fielen plötzlich einige Männer über ihn her und banden ihm, trotz seiner Gegenwehr, die Hände auf den Rücken. Er fragte sie, was sie zu dieser Gewalttat berechtige, und sie antworteten, es geschehe im Namen der Polizei und seines rechtmäßigen Gebieters Kalum-Bek. Zugleich trat der kleine, häßliche Mann herzu, verhöhnte und verspottete Said, griff in seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehenden und mit Triumphgeschrei einen großen Beutel mit Gold heraus.

»Seht, das alles hat er mir nach und nach gestohlen, der schlechte Mensch!« rief er, und die Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen und riefen:

»Wie? Noch so jung, so schön und doch so schlecht! Zum Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonade erhalte!«

So schleppten sie ihn fort, und ein ungeheurer Zug Menschen aus allen Ständen schloß sich an; sie riefen: »Seht, das ist der schöne Ladendiener vom Basar; er hat seinen Herrn bestohlen und ist entflohen; zweihundert Goldstücke hat er gestohlen!«

Der Aufseher der Polizei empfing den Gefangenen mit finsterer Miene. Said wollte sprechen, aber der Beamte gebot ihm, zu schweigen, und verhörte nur den kleinen Kaufmann. Er zeigte ihm den Beutel und fragte ihn, ob ihm dieses Gold gestohlen worden sei.

Kalum-Bek beschwor es; aber sein Meineid verhalf ihm zwar zu dem Gold, doch nicht zu dem schönen Ladendiener, der ihm tausend Goldstücke wert war, denn der Richter sprach: »Nach einem Gesetz, das mein großmächtigster Herr, der Kalif, erst vor wenigen Tagen verschärft hat, wird jeder Diebstahl, der hundert Goldstücke übersteigt und auf dem Basar begangen wird, mit ewiger Verbannung auf eine wüste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt gerade zu rechter Zeit; er macht die Zahl von zwanzig solcher Burschen voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt und in die See geführt.«

Said war in Verzweiflung; er beschwor den Beamten, ihn anzuhören, ihn nur ein Wort mit dem Kalifen sprechen zu lassen – aber er fand keine Gnade. Kalum-Bek, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach ebenfalls für ihn, aber der Richter antwortete:

»Du hast dein Gold und kannst zufrieden sein. Geh nach Hause und verhalte dich ruhig, sonst strafe ich dich für jeden Widerspruch um zehn Goldstücke.«

Kalum schwieg bestürzt, der Richter aber winkte, und der unglückliche Said wurde abgeführt.

Man brachte ihn in ein finsteres und feuchtes Gefängnis; neunzehn elende Menschen lagen dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren Leidensgefährten mit rohem Gelächter

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