Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 57)
warf er seinen Säbel weg und floh.
Said blieb nicht lange in Ungewißheit, wen er gerettet habe, denn der größere der beiden Männer trat zu ihm und sprach: »Das eine ist so sonderbar wie das andere: dieser Angriff auf mein Leben oder meine Freiheit wie die unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wußtet Ihr, wer ich bin? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen gewußt?«
»Beherrscher der Gläubigen«, antwortete Said, » – denn ich zweifle nicht, daß du es bist –, ich ging heute abend durch die Straße El Malek hinter einigen Männern, deren fremden und geheimnisvollen Dialekt ich einst kennengelernt habe. Sie sprachen davon, dich gefangenzunehmen und den würdigen Mann, deinen Wesir, zu töten. Weil es nun zu spät war, dich zu warnen, beschloß ich, an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern wollten, um dir beizustehen.«
»Danke dir!« sprach Harun. »An dieser Stätte ist übrigens nicht gut weilen; nimm diesen Ring, und komm damit morgen in meinen Palast; wir wollen dann mehr über dich und deine Hilfe reden und sehen, wie ich dich am besten belohnen kann. Komm, Wesir, hier ist nicht gut bleiben; sie können wiederkommen.«
Er sprach es und wollte den Großwesir fortziehen, nachdem er dem Jüngling einen Ring an den Finger gesteckt hatte; dieser aber bat ihn, noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um und reichte dem überraschten Jüngling einen schweren Beutel: »Junger Mann«, sprach er, »mein Herr, der Kalif, kann dich zu allem machen, wozu er will – selbst zu meinem Nachfolger –; ich selbst kann wenig tun, und was ich tun kann, geschieht heute besser als morgen; drum nimm diesen Beutel. Das soll meinen Dank übrigens nicht abkaufen; sooft du irgendeinen Wunsch hast, komm getrost zu mir.«
Ganz trunken vor Glück, eilte Said nach Hause. Aber hier wurde er übel empfangen; Kalum-Bek wurde über sein langes Ausbleiben zuerst unwillig und dann besorgt, denn er dachte, er könnte leicht das schöne Aushängeschild seines Gewölbes verlieren. Er empfing ihn mit Schmähworten und tobte und raste wie ein Wahnsinniger.
Aber Said, der einen Blick in den Beutel getan und gefunden hatte, daß er lauter Goldstücke enthalte, bedachte, daß er jetzt nach seiner Heimat reisen könne – auch ohne die Gnade des Kalifen, die gewiß nicht geringer wäre als der Dank seines Wesirs –, und so blieb er ihm kein Wort schuldig, sondern erklärte ihm rund und deutlich, daß er keine Stunde länger bei ihm bleiben werde. Am Anfang erschrak Kalum-Bek hierüber sehr; dann aber lachte er höhnisch und sprach: »Du Lump und Landläufer, du ärmlicher Wicht! Wohin willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich meine Hand von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen und wo ein Nachtlager?«
»Das soll Euch nicht bekümmern, Herr Kalum-Bek«, antwortete Said trotzig. »Gehabt Euch wohl; mich seht Ihr nicht wieder!«
Er sprach es und lief zur Tür hinaus, und Kalum-Bek schaute ihm sprachlos vor Staunen nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den Fall recht überlegt hatte, schickte er seine Packknechte aus und ließ überall nach dem Flüchtling spähen. Lange suchten sie umsonst; endlich