Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 67)

ist nur zwei Schritte von Käthchens, die letzthin gestorben. Wage es einmal; gehe hin auf den Kirchhof, brich von Käthchens Grab eine Blume und bringe sie uns, so wollen wir glauben, daß du dich vor dem Krämer nicht fürchtest!‹

Meine Schwester schämte sich, von den anderen verlacht zu werden, darum sagte sie: ›Oh, das ist mir ein leichtes; was wollt ihr denn für eine Blume?‹

› Es blüht im ganzen Dorf keine weiße Rose als dort; darum bring uns einen Strauß von diesen‹, antwortete eine ihrer Freundinnen.

Sie stand auf und ging, und alle Männer lobten ihren Mut; aber die Frauen schüttelten den Kopf und sagten: ›Wenn es nur gut abläuft!‹

Meine Schwester ging dem Kirchhof zu; der Mond schien hell, und sie fing an zu schaudern, als es zwölf Uhr schlug und sie die Kirchhofpforte öffnete. Sie stieg über manchen Grabhügel weg, den sie kannte, und ihr Herz wurde bange und immer banger, je näher sie zu Käthchens weißen Rosen und zum Grab des gespenstischen Krämers kam.

Jetzt war sie da; zitternd kniete sie nieder und knickte die Blumen ab. Da glaubte sie ganz in der Nähe ein Geräusch zu vernehmen; sie sah sich um: Zwei Schritte von ihr flog die Erde von einem Grab hinweg, und langsam richtete sich eine Gestalt daraus empor. Es war ein alter, bleicher Mann, mit einer weißen Schlafmütze auf dem Kopf.

Meine Schwester erschrak; sie schaute noch einmal hin, um sich zu überzeugen, ob sie recht gesehen; als aber der im Grabe mit näselnder Stimme anfing zu sprechen: ›Guten Abend, Jungfer; woher so spät?‹, da erfaßte sie ein Grauen des Todes. Sie raffte sich auf, sprang über die Gräber hin und nach jenem Hause, erzählte beinahe atemlos, was sie gesehen, und wurde so schwach, daß man sie nach Hause tragen mußte.

Was nützte es uns, daß wir am andern Tage erfuhren, daß es der Totengräber gewesen sei, der dort ein Grab gemacht und zu meiner armen Schwester gesprochen habe? Sie verfiel, noch ehe sie dies erfahren konnte, in ein hitziges Fieber, an welchem sie nach drei Tagen starb. Die Rosen zu ihrem Totenkranz hatte sie sich selbst gebrochen.«

Der Fuhrmann schwieg, und eine Träne hing in seinen Augen; die andern aber sahen teilnehmend auf ihn.

»So hat das arme Kind auch an diesem Köhlerglauben sterben müssen«, sagte der junge Goldarbeiter. »Mir fällt da eine Sage ein, die ich euch wohl erzählen möchte und die leider mit einem solchen Trauerfall zusammenhängt.«

Die Höhle von Steenfoll

 

Eine schottische Sage

 

Auf einer der Felseninseln Schottlands lebten vor vielen Jahren zwei Fischer in glücklicher Eintracht. Sie waren beide unverheiratet, hatten auch sonst keine Angehörigen, und ihre gemeinsame Arbeit, obgleich verschieden angewendet, nährte sie beide. Im Alter kamen sie einander ziemlich nahe, aber von Person und an Gemütsart glichen sie einander nicht mehr als ein Adler und ein Seekalb.

Kaspar Strumpf war ein kurzer, dicker Mensch mit einem breiten, fetten Vollmondsgesicht und gutmütig lachenden Augen, denen Gram und Sorge fremd zu sein schienen. Er war nicht nur fett, sondern auch schläfrig und faul, und ihm

Seiten