Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 65)

fing an, von seiner Wanderschaft, von seinem Leben allerlei Geschichten zu erzählen; dann kam es an den Obergesellen und so nach der Reihe, und keiner von uns wurde schläfrig, denn begierig horchten wir alle zu. Ehe wir uns dessen versahen, war es Tag.

Da erkannten wir die List des Meisters, daß er uns durch Reden habe wachhalten wollen. Denn als die Glocke fertig war, schonte er seinen Wein nicht und holte ein, was er weislich in jener Nacht versäumte.«

»Das war ein vernünftiger Mann«, erwiderte der Student. »Gegen den Schlaf, das ist gewiß, hilft nichts als Reden. Darum möchte ich diese Nacht nicht einsam bleiben, weil ich mich gegen elf Uhr hin des Schlafes nicht mehr erwehren könnte.«

»Das haben auch die Bauersleute wohl bedacht«, sagte der Jäger. »Wenn die Frauen und Mädchen in den langen Winterabenden bei Licht spinnen, so bleiben sie nicht einsam zu Hause, weil sie da wohl mitten unter der Arbeit einschliefen, sondern sie kommen zusammen in den sogenannten Lichtstuben, setzen sich in großer Gesellschaft zur Arbeit und erzählen.«

»Ja«, fiel der Fuhrmann ein, »da geht es oft recht greulich zu, daß man sich ordentlich fürchten möchte; denn sie erzählen von feurigen Geistern, die auf der Welt gehen, von Kobolden, die nachts in den Kammern poltern, und von Gespenstern, die Menschen und Vieh ängstigen.«

»Da haben sie nun freilich nicht die beste Unterhaltung«, entgegnete der Student. »Mir – ich gestehe es – ist nichts so verhaßt als Gespenstergeschichten.«

»Ei, da denke ich gerade das Gegenteil!« rief der Zirkelschmied. »Mir ist es recht behaglich bei einer rechten Schauergeschichte. Es ist gerade wie beim Regenwetter, wenn man unter dem Dach schläft. Man hört die Tropfen ›ticktack, ticktack‹ auf die Ziegel herunterrauschen und fühlt sich recht warm im Trockenen. So, wenn man bei Licht und in Gesellschaft von Gespenstern hört, fühlt man sich sicher und behaglich.«

»Aber nachher?« fragte der Student. »Wenn einer zugehört hat, der dem lächerlichen Glauben an Gespenster ergeben ist, wird er sich nicht grauen, wenn er allein ist und im Dunkeln? Wird er nicht an alles das Schauerliche denken, was er gehört? Ich kann mich noch heute über diese Gespenstergeschichten ärgern, wenn ich an meine Kindheit denke. Ich war ein munterer, aufgeweckter Junge und mochte vielleicht etwas unruhiger sein, als meiner Amme lieb war. Da wußte sie nun kein anderes Mittel, mich zum Schweigen zu bringen, als daß sie mich fürchten machte. Sie erzählte mir allerlei schauerliche Geschichten von Hexen und bösen Geistern, die im Hause spuken sollten, und wenn eine Katze auf dem Boden ihr Wesen trieb, flüsterte sie mir ängstlich zu: ›Hörst du, Söhnchen? Jetzt geht er wieder Treppe auf, Treppe ab, der tote Mann. Er trägt seinen Kopf unter dem Arm, aber seine Augen glänzen doch wie Laternen; Krallen hat er statt der Finger, und wenn er einen im Dunklen erwischt, dreht er ihm den Hals um.‹ «

Die Männer lachten über diese Geschichten, aber der Student fuhr fort: »Ich war zu jung, als daß ich hätte einsehen können, dies alles sei unwahr und erfunden. Ich fürchtete mich nicht vor

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