Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 66)
dem größten Jagdhund, warf jeden meiner Gespielen in den Sand; aber wenn ich ins Dunkle kam, drückte ich vor Angst die Augen zu, denn ich glaubte, jetzt werde der tote Mann heranschleichen. Es ging so weit, daß ich nicht mehr allein und ohne Licht aus der Tür gehen wollte, wenn es dunkel war, und wie manchmal hat mich mein Vater nachher gezüchtigt, als er diese Unart bemerkte! Aber lange Zeit konnte ich diese kindische Furcht nicht loswerden, und allein meine törichte Amme trug die Schuld.«
»Ja, das ist ein großer Fehler«, bemerkte der Jäger, »wenn man die kindlichen Gedanken mit solchem Aberwitz füllt. Ich kann Ihnen versichern, daß ich brave, beherzte Männer gekannt habe, Jäger, die sich sonst vor drei Feinden nicht fürchteten – wenn sie nachts im Wald aufs Wild lauern sollten oder auf Wilddiebe, da gebrach es ihnen oft plötzlich an Mut, denn sie sahen einen Baum für ein schreckliches Gespenst, einen Busch für eine Hexe und ein paar Glühwürmer für die Augen eines Ungetüms an, das im Dunkeln auf sie lauere.«
»Und nicht nur für Kinder«, entgegnete der Student, »halte ich Unterhaltungen dieser Art für höchst schädlich und töricht, sondern auch für jeden; denn welcher vernünftige Mensch wird sich über das Treiben und Wesen von Dingen unterhalten, die eigentlich nur im Hirn eines Toren wirklich sind? Dort spukt es, sonst nirgends. Doch am allerschädlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolk. Dort glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und dieser Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genährt, wo sie sich eng zusammensetzen und mit furchtsamer Stimme die allergreulichsten Geschichten erzählen.«
»Ja, Herr«, erwiderte der Fuhrmann, »Ihr möget nicht unrecht haben; schon manches Unglück ist durch solche Geschichten entstanden, ist ja doch sogar meine eigene Schwester dadurch elendiglich ums Leben gekommen.«
»Wie das? An solchen Geschichten?« riefen die Männer erstaunt.
»Jawohl, an solchen Geschichten«, sprach jener weiter. »In dem Dorf, wo unser Vater wohnte, ist auch die Sitte, daß die Frauen und die Mädchen in den Winterabenden sich zum Spinnen zusammensetzen. Die jungen Burschen kommen dann auch und erzählen mancherlei. So kam es eines Abends, daß man von Gespenstern und Erscheinungen sprach, und die jungen Burschen erzählten von einem alten Krämer, der schon vor zehn Jahren gestorben sei, aber im Grab keine Ruhe finde. Jede Nacht werfe er die Erde von sich ab, steige aus dem Grab, schleiche langsam und hustend, wie er im Leben getan, nach seinem Laden und wäge dort Zucker und Kaffee ab, indem er vor sich hinmurmle:
›Drei Viertel, drei Viertel um Mitternacht
Haben bei Tag ein Pfund gemacht.‹
Viele behaupteten, ihn gesehen zu haben, und die Mädchen und Weiber fingen an, sich zu fürchten.
Meine Schwester aber, ein Mädchen von sechzehn Jahren, wollte klüger sein als die anderen und sagte: ›Das glaube ich alles nicht; wer einmal tot ist, kommt nicht wieder!‹ Sie sagte es, aber leider ohne Überzeugung, denn sie hatte sich oft schon gefürchtet.
Da sagte einer von den jungen Leuten: ›Wenn du dies glaubst, so wirst du dich auch nicht vor ihm fürchten; sein Grab