Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 76)
je, gab dann die Pfeife seinem Diener und antwortete mit schreckhafter Kälte: »Ich bin Alfred Franz van der Swelder, Befehlshaber des Schiffes Carmilhan von Amsterdam, welches auf dem Heimwege von Batavia mit Mann und Maus an dieser Felsenküste zugrunde ging; dies sind meine Offiziere, dies meine Passagiere und jenes meine braven Seeleute, welche alle mit mir ertranken. Warum hast du uns aus unseren tiefen Wohnungen im Meer hervorgerufen? Warum störst du unsere Ruhe?«
»Ich möchte wissen, wo die Schätze des Carmilhan liegen.«
»Am Boden des Meeres.«
»Wo?«
»In der Höhle von Steenfoll.«
»Wie soll ich sie bekommen?«
»Eine Gans taucht in den Schlund nach einem Hering; sind die Schätze des Carmilhan nicht ebensoviel wert?«
»Wieviel davon werd' ich bekommen?«
»Mehr, als du je verzehren wirst.«
Das gelbe Männchen grinste, und die ganze Versammlung lachte laut auf.
»Bist du zu Ende?« fragte der Hauptmann weiter.
»Ich bin's. Gehab dich wohl!«
»Leb wohl, bis aufs Wiedersehen«, erwiderte der Holländer und wandte sich zum Gehen.
Die Musikanten traten aufs neue an die Spitze, und der ganze Zug entfernte sich in derselben Ordnung, in welcher er gekommen war, und mit demselben feierlichen Gesang, welcher mit der Entfernung immer leiser und undeutlicher wurde, bis er sich nach einiger Zeit gänzlich im Geräusche der Brandung verlor.
Jetzt strengte Wilm seine letzten Kräfte an, sich aus seinen Banden zu befreien, und es gelang ihm endlich, einen Arm loszubekommen, womit er die ihn umwindenden Stricke löste und sich endlich ganz aus der Haut wickelte. Ohne sich umzusehen, eilte er nach seiner Hütte und fand den armen Kaspar Strumpf in starrer Bewußtlosigkeit am Boden liegen. Mit Mühe brachte er ihn wieder zu sich selbst, und der gute Mensch weinte vor Freude, als er den verloren geglaubten Jugendfreund wieder vor sich sah.
Aber dieser beglückende Strahl verschwand schnell wieder, als er von diesem vernahm, welch verzweifeltes Unternehmen er jetzt vorhatte.
»Ich wollt' mich lieber in die Hölle stürzen, als diese nackten Wände und dieses Elend länger ansehen. Folge mir oder nicht – ich gehe.« Mit diesen Worten faßte Wilm eine Fackel, ein Feuerzeug und ein Seil und eilte davon. Kaspar eilte ihm nach, so schnell er's vermochte, und fand ihn schon auf dem Felsstück stehen, auf welchem er vormals gegen den Sturm Schutz gefunden, und bereit, sich an dem Stricke in den brausenden schwarzen Schlund hinabzulassen. Als er fand, daß alle seine Vorstellungen nichts über den rasenden Menschen vermochten, bereitete er sich, ihm nachzusteigen, aber Falke befahl ihm, zu bleiben und den Strick zu halten.
Mit furchtbarer Anstrengung, wozu nur blinde Habsucht den Mut und die Stärke geben konnte, kletterte Falke in die Höhle hinab und kam endlich auf ein vorspringendes Felsstück zu stehen, unter dem die Wogen, schwarz und mit weißem Schaum bekräuselt, brausend dahineilten. Er blickte begierig umher und sah endlich etwas gerade unter ihm im Wasser schimmern. Er legte die Fackel nieder, stürzte sich hinab und erfaßte etwas Schweres, das er auch heraufbrachte. Es war ein eisernes Kästchen voller Goldstücke. Er verkündete seinem Gefährten, was er gefunden, wollte aber durchaus nicht auf sein Flehen hören, sich damit zu begnügen und wieder heraufzusteigen. Falke meinte,