Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 77)

dies wäre nur die erste Frucht seiner langen Bemühungen. Er stürzte sich noch einmal hinab – es erscholl ein lautes Gelächter aus dem Meer, und Wilm Falke ward nie wieder gesehen.

Kaspar ging allein nach Hause, aber als ein anderer Mensch. Die seltsamen Erschütterungen, die sein schwacher Kopf und sein empfindsames Herz erlitten, zerrütteten ihm die Sinne. Er ließ alles um sich her verfallen und wanderte, Tag und Nacht gedankenlos vor sich starrend, umher, von allen seinen vorigen Bekannten bedauert und gemieden.

Ein Fischer will Wilm Falke in einer stürmischen Nacht mitten unter der Mannschaft des »Carmilhan« am Ufer erkannt haben, und in derselben Nacht verschwand auch Kaspar Strumpf. Man suchte ihn allenthalben, allein nirgends hat man eine Spur von ihm finden können. Aber die Sage geht, daß er oft nebst Falke mitten unter der Mannschaft des Zauberschiffes gesehen worden sei, welches seitdem zu regelmäßigen Zeiten an der Höhle von Steenfoll erschien.

*

»Mitternacht ist längst vorüber«, sagte der Student, als der junge Goldarbeiter seine Erzählung beendet hatte; »jetzt hat es wohl keine Gefahr mehr, und ich für meinen Teil bin so schläfrig, daß ich allen raten möchte, niederzuliegen und getrost einzuschlafen.«

»Vor zwei Uhr morgens möcht' ich doch nicht trauen«, entgegnete der Jäger; »das Sprichwort sagt: Von elf bis zwei Uhr ist Diebeszeit.«

»Das glaube ich auch«, bemerkte der Zirkelschmied; »denn wenn man uns etwas anhaben will, ist wohl keine Zeit gelegener als die nach Mitternacht. Drum meine ich, der Studiosus könnte an seiner Erzählung fortfahren, die er noch nicht ganz vollendet hat.«

»Ich sträube mich nicht«, sagte dieser, »obgleich unser Nachbar, der Herr Jäger, den Anfang nicht gehört hat.«

»Ich muß ihn mir hinzudenken; fangt nur an!« rief der Jäger.

»Nun denn«, wollte eben der Student beginnen, als sie durch das Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden; alle hielten den Atem an und horchten; zugleich stürzte einer der Bedienten aus dem Zimmer der Gräfin und rief, daß wohl zehn bis zwölf bewaffnete Männer von der Seite her auf die Schenke zukämen.

Der Jäger griff nach seiner Büchse, der Student nach seiner Pistole, die Handwerksburschen nach ihren Stöcken, und der Fuhrmann zog ein langes Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an.

»Laßt uns an die Treppe gehen!« rief der Student. »Zwei oder drei dieser Schurken sollen doch zuvor ihren Tod finden, ehe wir überwältigt werden.« Zugleich gab er dem Zirkelschmied seine zweite Pistole und riet, daß sie nur einer nach dem andern schießen wollten.

Sie stellten sich an die Treppe; der Student und der Jäger nahmen gerade ihre ganze Breite ein; seitwärts neben dem Jäger stand der mutige Zirkelschmied und beugte sich über das Geländer, indem er die Mündung seiner Pistole auf die Mitte der Treppe hielt. Der Goldarbeiter und der Fuhrmann standen hinter ihnen, bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen sollte, das Ihrige zu tun.

So standen sie einige Minuten in stiller Erwartung; endlich hörte man die Haustür aufgehen; sie glaubten auch das Flüstern mehrerer Stimmen zu vernehmen.

Jetzt hörte man die Tritte vieler Menschen der Treppe nahen; man kam die Treppe herauf,

Seiten