Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 78)

und auf der ersten Hälfte zeigten sich drei Männer, die wohl nicht auf den Empfang gefaßt waren, der ihnen bereitet war. Denn als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jäger mit starker Stimme: »Halt! Noch einen Schritt weiter, und ihr seid des Todes. Spannt die Hähne, Freunde, und gut gezielt!«

Die Räuber erschraken, zogen sich eilig zurück und berieten sich mit den übrigen. Nach einer Weile kam einer davon zurück und sprach: »Ihr Herren, es wäre Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu wollen, denn wir sind unserer genug, um euch völlig aufzureiben; aber zieht euch zurück, es soll keinem das geringste zuleide geschehen; wir wollen keines Groschen Wert von euch nehmen.«

»Was wollt ihr denn sonst?« rief der Student. »Meint ihr, wir werden solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen – in Gottes Namen, so kommt; aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne ich auf die Stirn, daß er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben soll!«

»Gebt uns die Dame heraus, gutwillig«, antwortete der Räuber. »Es soll ihr nichts geschehen; wir wollen sie an einen sicheren und bequemen Ort führen. Ihre Leute können zurückreiten und den Herrn Grafen bitten, er möge sie mit zwanzigtausend Gulden auslösen.«

»Solche Vorschläge sollen wir uns machen lassen?« entgegnete der Jäger knirschend vor Wut. »Ich zähle drei, und wenn du da unten nicht bei drei weg bist, so drücke ich los: eins, zwei –«

»Halt!« schrie der Räuber mit donnernder Stimme. »Ist das Sitte, auf einen wehrlosen Mann zu schießen, der mit euch friedlich unterhandelt? Törichter Bursche, du kannst mich totschießen, und dann hast du erst keine große Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden, die mich rächen werden. Was nützt es dann deiner Frau Gräfin, wenn ihr tot oder verstümmelt auf dem Flur liegt? Glaube mir, wenn sie freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden; aber wenn du, bis ich drei zähle, nicht den Hahn in Ruhe setzt, so soll es ihr übel ergehen. Hahn in Ruh': eins, zwei, drei!«

»Mit diesen Hunden ist nicht zu spaßen«, flüsterte der Jäger, indem er den Befehl des Räubers befolgte. »Wahrhaftig, an meinem Leben liegt nichts, aber wenn ich einen niederschieße, könnten sie meine Dame um so härter behandeln. Ich will die Gräfin um Rat fragen. Gebt uns«, fuhr er mit lauter Stimme fort, »eine halbe Stunde Waffenstillstand, um die Gräfin vorzubereiten; sie würde, wenn sie es so plötzlich erfährt, den Tod davon haben.«

»Zugestanden«, antwortete der Räuber und ließ zugleich den Ausgang der Treppe mit sechs Mann besetzen.

Bestürzt und verwirrt folgten die unglücklichen Reisenden dem Jäger in das Zimmer der Gräfin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte man verhandelt, daß ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und zitterte heftig, aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in ihr Schicksal zu ergeben: »Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler braver Leute aufs Spiel setzen?« sagte sie. »Warum euch zu einer vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht kennt? Nein, ich sehe, daß keine andere

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