Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 79)

Rettung ist, als den Elenden zu folgen.«

Man war allgemein von dem Mut und dem Unglück der Dame ergriffen; der Jäger weinte und schwor, daß er diese Schmach nicht überleben könne. Der Student aber schmähte auf sich und seine Größe von sechs Fuß. »Wäre ich nur um einen halben Kopf kleiner«, rief er, »und hätte ich keinen Bart, so wüßte ich wohl, was ich zu tun hätte: Ich ließe mir von der Frau Gräfin Kleider geben, und diese Elenden sollten spät genug erfahren, welchen Mißgriff sie getan.«

Auch auf Felix hatte das Unglück dieser Frau großen Eindruck gemacht. Ihr ganzes Wesen kam ihm so rührend und bekannt vor; es war ihm, als sei es seine früh verstorbene Mutter, die sich in dieser schrecklichen Lage befände. Er fühlte sich so gehoben, so mutig, daß er gerne sein Leben für das ihrige gegeben hätte. Doch als der Student jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele auf; er vergaß alle Angst, alle Rücksichten, und er dachte nur an die Rettung dieser Frau. »Ist es nur dies«, sprach er, indem er schüchtern und errötend hervortrat; »gehört nur ein kleiner Körper, ein bartloses Kinn und ein mutiges Herz dazu, die gnädige Frau zu retten, so bin ich vielleicht auch nicht zu schlecht dazu. Zieht in Gottes Namen meinen Rock an, setzt meinen Hut auf Euer schönes Haar, nehmt mein Bündel auf den Rücken und – zieht als Felix, der Goldarbeiter, Eure Straße.«

Alle waren erstaunt über den Mut des Jünglings; der Jäger aber fiel ihm freudig um den Hals. »Goldjunge«, rief er, »das wolltest du tun? Wolltest dich in meiner gnädigen Frau Kleider stecken lassen und sie retten? Das hat dir Gott eingegeben! Aber allein sollst du nicht gehen; ich will mich mitgefangen geben, will bei dir bleiben, an deiner Seite, als dein bester Freund, und solange ich lebe, sollen sie dir nichts anhaben dürfen.«

»Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!« rief der Student.

Es kostete lange Überredung, bis die Gräfin in diesen Vorschlag einwilligte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß sich ein fremder Mensch für sie aufopfern sollte; sie dachte sich im Fall einer späteren Entdeckung die Rache der Räuber, die ganz auf den Unglücklichen fallen würde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des jungen Menschen, teils die Überzeugung, im Fall sie gerettet würde, alles aufbieten zu können, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie willigte ein.

Der Jäger und die übrigen Reisenden begleiteten Felix in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der Gräfin überwarf. Der Jäger setzte ihm noch zum Überfluß einige falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und alle versicherten, daß man ihn nicht erkennen würde. Selbst der Zirkelschmied schwor, daß, wenn er ihm auf der Straße begegnete, würde er flink den Hut abziehen und nicht ahnen, daß er vor seinem mutigen Kameraden sein Kompliment mache.

Die Gräfin hatte sich indessen mit Hilfe ihrer Kammerfrau aus dem Ränzchen des jungen Goldarbeiters mit Kleidern versehen. Der Hut, tief in die Stirn gedrückt, der Reisestock

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