Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 87)

zog dann ein langes Register heraus, und darauf waren Peters Gläubiger verzeichnet. »Könnt Ihr zahlen oder nicht?« fragte der Amtmann mit strengem Blick. »Und macht es nur kurz, denn ich habe nicht viel Zeit zu versäumen, und in den Turm ist es drei gute Stunden.«

Da verzagte Peter, gestand, daß er nichts mehr habe, und überließ es dem Amtmann, Haus und Hof, Hütte und Stall, Wagen und Pferde zu schätzen; und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen und prüften und schätzten, dachte er: Bis zum Tannenbühl ist's nicht weit; hat mir der Kleine nicht geholfen, so will ich es einmal mit dem Großen versuchen. Er lief dem Tannenbühl zu, so schnell, als ob die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen wären.

Es war ihm, als er an dem Platz vorbeirannte, wo er das Glasmännlein zuerst gesprochen, als halte ihn eine unsichtbare Hand auf, aber er riß sich los und lief weiter, bis an die Grenze, die er sich früher wohl gemerkt hatte; und kaum hatte er, beinahe atemlos: »Holländer Michel! Herr Holländer Michel!« gerufen, als auch schon der riesige Flößer mit seiner Stange vor ihm stand.

»Kommst du?« sprach dieser lachend. »Haben sie dir die Haut abziehen und deinen Gläubigern verkaufen wollen? Nu, sei ruhig; dein ganzer Jammer kommt, wie gesagt, von dem kleinen Glasmännlein, von dem Separatisten und Frömmler her. Wenn man schenkt, muß man gleich recht schenken, und nicht wie dieser Knauser. Doch komm«, fuhr er fort und wandte sich gegen den Wald, »folge mir in mein Haus; dort wollen wir sehen, ob wir handelseinig werden.«

Handelseinig? dachte Peter. Was kann er denn von mir verlangen? Was kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen, oder was will er?

Sie gingen zuerst über einen steilen Waldsteig hinan und standen dann mit einem Mal an einer dunklen, tiefen, abschüssigen Schlucht. Der Holländer Michel sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte Marmortreppe wäre; aber bald wäre Peter in Ohnmacht gesunken, denn als jener unten angekommen war, machte er sich so groß wie ein Kirchturm und reichte ihm einen Arm, so lang wie ein Weberbaum, und eine Hand daran, so breit wie der Tisch im Wirtshaus, und rief mit einer Stimme, die herabschallte wie eine tiefe Totenglo>*

Es mochten schon etwa fünf Tage vergangen sein, während Felix, der Jäger und der Student noch immer unter den Räubern gefangensaßen. Sie wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt, aber dennoch sehnten sie sich nach Befreiung, denn je mehr die Zeit fortrückte, desto höher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung.

Am Abend des fünften Tages erklärte der Jäger seinen Leidensgenossen, daß er entschlossen sei, in dieser Nacht loszubrechen, und wenn es ihn auch das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefährten zum gleichen Entschluß auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen könnten. »Den, der uns zunächst steht, nehme ich auf mich; es ist Notwehr, und Not kennt kein Gebot – er muß sterben.«

»Sterben?« rief Felix entsetzt. »Ihr wollt ihn totschlagen?«

»Das bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei Menschenleben

Seiten