Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 58)

geschehe, doch konnte er sich nicht denken, daß der König derselbe sei, den er in Ägypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über den breiten Fluß führen, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer lehnte und in die Wellen sah. Die Züge des Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte der Kammer von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das Verständnis, daß dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn gesorgt hatte. Er wußte seinen rechten Namen nicht genau; er faßte sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die Arme über der Brust kreuzte: »Salem aleikum, Petit-Caporal!«

Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: »Himmel, ist es möglich? Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Ägypten? Was führt dich zu uns hierher?«

Da konnte sich Almansor nicht länger halten; er fing an, bitterlich zu weinen, und sagte zu dem Mann: »So weißt du also nicht, was die Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weißt nicht, daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe seit vielen Jahren?«

»Ich will nicht hoffen«, sagte der Mann, und seine Stirn wurde finster, »ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte.«

»Ach, freilich«, antwortete Almansor. »An jenem Tage, wo eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, der mich schlägt und halb Hungers sterben läßt. Aber höre, Petit-Caporal«, fuhr er ganz treuherzig fort, »es ist gut, daß ich dich hier traf; du mußt mir helfen!«

Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen sollte.

»Siehe«, sagte Almansor, »es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas verlangen. Du warst von jeher so gütig gegen mich; aber ich weiß, du bist auch ein armer Mensch; und wenn du auch Feldherr warst, gingst du nie so schön gekleidet wie die andern – auch jetzt mußt du, nach deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein. Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Kapudan-Pascha – nicht?«

»Nun ja«, antwortete der Mann; »aber wie weiter?«

»Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möge mich freilassen. Dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer; vor allem aber mußt

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