Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 25)

Caput XXIII

Aus dem Spuk der Hexenwirtschaft

Steigen wir ins Tal herunter;

Unsre Füße fassen wieder

Boden in dem Positiven.

Fort, Gespenster! Nachtgesichte!

Luftgebilde! Fieberträume!

Wir beschäftgen uns vernünftig

Wieder mit dem Atta Troll.

In der Höhle, bei den Jungen,

Liegt der Alte, und er schläft

Mit dem Schnarchen des Gerechten;

Endlich wacht er gähnend auf.

Neben ihm hockt Junker Einohr,

Und er kratzt sich an dem Kopfe

Wie ein Dichter, der den Reim sucht;

Auch skandiert er an den Tatzen.

Gleichfalls an des Vaters Seite

Liegen träumend auf dem Rücken,

Unschuldrein, vierfüßge Liljen,

Atta Trolls geliebte Töchter.

Welche zärtliche Gedanken

Schmachten in der Blütenseele

Dieser weißen Bärenjungfraun?

Tränenfeucht sind ihre Blicke.

Ganz besonders scheint die Jüngste

Tiefbewegt. In ihrem Herzen

Fühlt sie schon ein selges Jucken,

Ahnet sie die Macht Cupidos.

Ja, der Pfeil des kleinen Gottes

Ist ihr durch den Pelz gedrungen,

Als sie Ihn erblickt – O Himmel,

Den sie liebt, der ist ein Mensch!

Ist ein Mensch und heißt Schnapphahnski.

Auf der großen Retirade

Kam er ihr vorbeigelaufen

Eines Morgens im Gebirge.

Heldenunglück rührt die Weiber,

Und im Antlitz unsres Helden

Lag, wie immer, der Finanznot

Blasse Wehmut, düstre Sorge.

Seine ganze Kriegeskasse,

Zweiundzwanzig Silbergroschen,

Die er mitgebracht nach Spanien,

Ward die Beute Esparteros.

Nicht einmal die Uhr gerettet!

Blieb zurück zu Pampeluna

In dem Leihhaus. War ein Erbstück,

Kostbar und von echtem Silber.

Und er lief mit langen Beinen.

Aber, unbewußt, im Laufen,

Hat er Besseres gewonnen

Als die beste Schlacht – ein Herz!

Ja, sie liebt ihn, ihn, den Erbfeind!

O, der unglückselgen Bärin!

Wüßt der Vater das Geheimnis,

Ganz entsetzlich würd er brummen.

Gleich dem alten Odoardo,

Der mit Bürgerstolz erdolchte

Die Emilia Galotti,

Würde auch der Atta Troll

Seine Tochter lieber töten,

Töten mit den eignen Tatzen,

Als erlauben, daß sie sänke

In die Arme eines Prinzen!

Doch in diesem Augenblicke

Ist er weich gestimmt, hat keine

Lust zu brechen eine Rose,

Eh der Sturmwind sie entblättert.

Weich gestimmt, liegt Atta Troll

In der Höhle bei den Seinen.

Ihn beschleicht, wie Todesahnung,

Trübe Sehnsucht nach dem Jenseits!

»Kinder!« – seufzt er, und es triefen

Plötzlich seine großen Augen –

»Kinder! meine Erdenwallfahrt

Ist vollbracht, wir müssen scheiden.

Heute mittag kam im Schlafe

Mir ein Traum, der sehr bedeutsam.

Mein Gemüt genoß das süße

Vorgefühl des baldgen Sterbens.

Bin fürwahr nicht abergläubisch,

Bin kein Faselbär – doch gibt es

Dinge zwischen Erd und Himmel,

Die dem Denker unerklärlich.

Uber Welt und Schicksal grübelnd,

War ich gähnend eingeschlafen,

Als mir träumte, daß ich läge

Unter einem großen Baume.

Aus den Ästen dieses Baumes

Troff herunter weißer Honig,

Glitt mir just ins offne Maul,

Und ich fühlte süße Wonne.

Selig blinzelnd in die Höhe,

Sah ich in des Baumes Wipfel

Etwa sieben kleine Bärchen,

Die dort auf und nieder rutschten.

Zarte, zierliche Geschöpfe,

Deren Pelz von rosenroter

Farbe war und an den Schultern

Seidig flockte wie zwei Flüglein.

Ja, wie seidne Flüglein hatten

Diese rosenroten Bärchen,

Und mit überirdisch feinen

Flötenstimmen sangen sie!

Wie sie sangen, wurde eiskalt

Meine Haut, doch aus der Haut fuhr

Mir die Seel, gleich einer Flamme;

Strahlend stieg sie in den Himmel.«

Also sprach mit bebend weichem

Grunzton Atta Troll. Er schwieg

Eine Weile, wehmutsvoll –

Aber seine Ohren plötzlich

Spitzten sich und zuckten seltsam,

Und empor vom Lager sprang er,

Freudezitternd, freudebrüllend:

»Kinder, hört Ihr diese Laute?

Ist das nicht die süße Stimme

Eurer Mutter? O, ich kenne

Das Gebrumme meiner Mumma!

Mumma! meine schwarze Mumma!«

Atta Troll mit diesen Worten

Stürzte wie’n Verrückter fort

Aus der Höhle, ins Verderben!

Ach! er stürzte in sein Unglück!

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