Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 33)

IV

Einsam sinnend, vor dem Herde,

Saß ich in der Hexenhütte;

Neben mir, den Kessel rührend,

Stand der tugendhafte Mops.

War es Neugier, war es Hunger?

Endlich nahm ich aus den Pfoten

Ihm den Löffel, und im Kessel

Fischt ich mir ein Stückchen Fleisch.

War ein großes Herz, gekocht

Ganz vortrefflich, äußerst schmackhaft,

Doch ich hatt es kaum verzehret,

Als ich hörte eine Stimme:

»O, der deutsche Fresser! Dieser

Frißt das Herz von einem Diebe,

Der gehenkt ward in Tolosa!

Kann man so gefräßig sein!«

Jene Worte rief ein Geier,

Einer von den ausgestopften,

Und die andern, wie im Chore,

Schnarrten: O, der deutsche Fresser!

Wer ein Diebesherz gegessen,

Der versteht, was das Gevögel

Pfeift und zwitschert, also heißt es;

Hab erprobt der Sage Wahrheit.

Denn seit jener Stunde bin ich

Aller Vogelsprachen kundig;

Ich versteh sogar die toten

Ausgestopften Dialekte.

Draußen klopfte es ans Fenster,

Und ich eilte es zu öffnen.

Sieben große Raben warens,

Die hereingeflogen kamen.

Nahten sich dem Feuer, wärmten

Sich die Krallen, leidenschaftlich

Ihre Fittige bewegend,

Krächzten auch diverse Flüche.

Sie verwünschten ganz besonders

Jenen Juden Mendizabel,

Der die Klöster aufgehoben,

Ihre lieben alten Nester.

Frugen mich: Wo geht der Weg

Nach Monacho Monachorum?

Links, links um die Ecke, sprach ich,

Grüßt mir dort den Pater Joseph.

Doch die schwarzen Emigranten

Weilten an dem Herd nicht lange,

Und sie flatterten von dannen

Wieder durch das offne Fenster.

Federvieh von allen Sorten

Kam jetzt ab und zu geflogen.

Unsre Hütte schien ein Wirtshaus

Für das reisende Gevögel.

Mehre Störche, einge Schwäne,

Auch verschiedne Eulen; diese

Klagten über schlechtes Wetter,

Sonnenschein und Atheismus.

In Gesellschaft zweier Gänse,

Die wie Wärterinnen aussahn

Und im Flug ihn unterstützten,

Kam ein kranker Pelikan.

Wärmte seine wunde Brust,

Und mit leidender Verachtung

Auf die Eulensippschaft blickend,

Zog er wieder fort durchs Fenster.

Auch etwelche Tauben schwirrten

An das Feuer, lachend, kullernd,

Und nachdem sie sich erquickt,

Flogen sie des Weges weiter.

Endlich kam ein Wiedehopf,

Kurzbeflügelt, stelzenbeinig.

Als er mich erblickt, da lacht er:

Kennst nicht mehr den Freund Hut-Hut?

Und ich selber mußte lachen,

Denn es war mein Freund Hut-Hut,

Der vor dritthalb tausend Jahren

Kabinettskurier gewesen

Und von Salomo, dem Weisen,

Mit Depeschen abgeschickt ward

An die holde Balkaisa,

An die Königin von Saba.

Jener glühte für die Schöne,

Die man ihm so schön geschildert,

Diese schwärmte für den Weisen,

Dessen Weisheit weltberühmt war.

Ihren Scharfsinn zu erproben

Schickten sie einander Rätsel,

Und mit solcherlei Depeschen

Lief Hut-Hut durch Sand und Wüste.

Rätselmüde zog die Köngin

Endlich nach Jeruscholayim,

Und sie stürzte mit Erröten

In die Arme Salomonis.

Dieser drückte sie ans Herz,

Und er sprach: Das größte Rätsel,

Süßes Kind, das ist die Liebe –

Doch wir wollen es nicht lösen!

Ja, Hut-Hut, der alte Vogel,

War es, der mir freundlich nahte,

Im verhexten Luftreviere,

In der Hütte der Uraka.

Alter Vogel! Unverändert

Fand ich ihn. Ganz gravitätisch,

Wie’n Toupet, trug er noch immer

Auf dem Kopf das Federkämmchen.

Kreuzte auch das eine Streckbein

Übers andre, und geschwätzig

War er noch wie sonst; er kürzte

Mir die Zeit mit Hofgeschichten.

Er erzählte mir aufs neue,

Was mir schon Arabiens Dichter

Längst erzählt, wie Salomo

Einst bezwang den Todesengel

Und am Leben blieb – Unsterblich

Lebt er jetzt in Dschinnistan,

Herrschend über die Dämonen,

Als ein unbeschränkter König.

»Auch die Köngin Balkaisa« –

Sprach Hut-Hut – »ist noch am Leben

Kraft des Talismans, den weiland

Ihr der Herzgeliebte schenkte.

Residierend in den fernsten

Mondgebirgen Äthiopiens,

Blieb sie dennoch in Verbindung

Mit dem König Salomo.

Beide haben zwar gealtert

Und sich abgekühlt, doch schreiben

Sie sich oft, und ganz wie ehmals

Schicken sie einander Rätsel.

Kindisch freut sich Balkaisa,

Wenn das Rätsel, das sie aufgab,

Nicht gelöst ward von dem König,

Der vergeblich nachgegrübelt –

Und sie neckt ihn dann graziöse

Und behauptet, mit den Jahren

Werde er ein bißchen kopfschwach,

Nennt ihn Schlafmütz oder Schelling.

Seinerseits gab jüngst der König

Eine harte Nuß zu knacken

Seiner Freundin, und er schickte

Ihr durch mich die Rätselfrage:

Wer ist wohl der größte Lump

Unter allen deutschen Lumpen,

Die in allen sechsunddreißig

Deutschen Bundesstaaten leben?

Hundert Namen hat seitdem

Schon die Köngin eingesendet,

Immer schrieb zurück der König:

Kind, das ist noch nicht der größte! –

Sehr verdrießlich ist die Köngin!

Ob sie gleich durch Emissaire

Überall in Deutschland forschte,

Blieb sie doch die Antwort schuldig;

Denn so oft sie einen Lumpen

Als den größten proklamiert,

Läßt ihr Salomo vermelden:

Kind! es gibt noch einen größern! –

Als ich dies vernahm, da sprach ich:

Liebster Freund, die Balkaisa

Wird noch lang vergebens raten,

Wer der größte Lump in Deutschland.

Dort, in meiner teuren Heimat,

Ist das Lumpentum in Fortschritt,

Und es machen gar zu viele

Anspruch auf den Lumpen-Lorbeer.

Gestern noch schien dort der ****

Mir der größte Lump, doch heute

Dünkt er mir ein Unterlümpchen,

In Vergleichung mit dem ****

Und vielleicht im nächsten Zeitblatt

Offenbart sich uns ein neuer

Erzlumpazius, der unsern

Großen **** überlumpt.

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