Ungekürztes Werk "Die Elixiere des Teufels" von E. T. A. Hoffmann (Seite 143)
die in Umrissen angedeuteten und dann in Licht und Schatten ausgeführten Zeichnungen der Freskogemälde in der heiligen Linde. Nicht das mindeste Erstaunen, nicht die mindeste Begierde, schnell das Rätsel zu lösen, regte sich in mir auf. Nein! – Es gab kein Rätsel für mich, längst wußte ich ja alles, was in diesem Malerbuch aufbewahrt worden. Das, was der Maler auf den letzten Seiten des Buchs in kleiner, kaum lesbarer, bunt gefärbter Schrift zusammengetragen hatte, waren meine Träume, meine Ahnungen, nur deutlich, bestimmt in scharfen Zügen dargestellt, wie ich es niemals zu tun vermochte.
Eingeschaltete Anmerkung des Herausgebers
Bruder Medardus fährt hier, ohne sich weiter auf das, was er im Malerbuche fand, einzulassen, in seiner Erzählung fort, wie er Abschied nahm von dem in seine Geheimnisse eingeweihten Prior und von den freundlichen Brüdern und wie er nach Rom pilgerte und überall, in Sankt Peter, in St. Sebastian und Laurenz, in St. Giovanni a Laterano, in Sankta Maria Maggiore und so weiter an allen Altären kniete und betete, wie er selbst des Papstes Aufmerksamkeit erregte und endlich in einen Geruch der Heiligkeit kam, der ihn – da er jetzt wirklich ein reuiger Sünder geworden und wohl fühlte, daß er nichts mehr als das sei – von Rom vertrieb. Wir, ich meine dich und mich, mein günstiger Leser, wissen aber viel zuwenig Deutliches von den Ahnungen und Träumen des Bruders Medardus, als daß wir, ohne zu lesen, was der Maler aufgeschrieben, auch nur im mindesten das Band zusammenzuknüpfen vermöchten, welches die verworren auseinander laufenden Fäden der Geschichte des Medardus wie in einen Knoten einigt. Ein besseres Gleichnis übrigens ist es, daß uns der Fokus fehlt, aus dem die verschiedenen bunten Strahlen brachen. Das Manuskript des seligen Kapuziners war in altes, vergilbtes Pergament eingeschlagen und dies Pergament mit kleiner, beinahe unleserlicher Schrift beschrieben, die, da sich darin eine ganz seltsame Hand kundtat, meine Neugierde nicht wenig reizte. Nach vieler Mühe gelang es mir, Buchstaben und Worte zu entziffern, und wie erstaunte ich, als es mir klar wurde, daß es jene im Malerbuch aufgezeichnete Geschichte sei, von der Medardus spricht. Im alten Italienisch ist sie beinahe chronikenartig und sehr aphoristisch geschrieben. Der seltsame Ton klingt im Deutschen nur rauh und dumpf wie ein gesprungenes Glas, doch war es nötig, zum Verständnis des Ganzen hier die Übersetzung einzuschalten; dies tue ich, nachdem ich nur noch folgendes wehmütigst bemerkt. Die fürstliche Familie, aus der jener oft genannte Francesko abstammte, lebt noch in Italien, und ebenso leben noch die Nachkömmlinge des Fürsten, in dessen Residenz sich Medardus aufhielt. Unmöglich war es daher, die Namen zu nennen, und unbehilflicher, ungeschickter ist niemand auf der ganzen Welt, als derjenige, der dir, günstiger Leser, dies Buch in die Hände gibt, wenn er Namen erdenken soll, da, wo schon wirkliche, und zwar schön und romantisch tönende, vorhanden sind, wie es hier der Fall war. Bezeichneter Herausgeber gedachte sich sehr gut mit dem: der Fürst, der Baron und so weiter herauszuhelfen, nun aber der alte Maler die geheimnisvollen, verwickeltsten Familienverhältnisse ins klare stellt, sieht