Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 161)

einen solchen Ausgang durch den Hof, nur mußte man dann noch über den Zaun des Nachbargartens klettern – und durch diesen Garten gehen, ehe man auf die Straße kam. Das wollte K. tun. Während ihn Olga durch den Hof und zum Zaun führte, suchte K. sie schnell wegen ihrer Sorgen zu beruhigen, erklärte, daß er ihr wegen ihrer kleinen Kunstgriffe in der Erzählung gar nicht böse sei, sondern sie sehr wohl verstehe, dankte für das Vertrauen, das sie zu ihm hatte und durch ihre Erzählung bewiesen hatte, und trug ihr auf, Barnabas gleich nach seiner Rückkehr in die Schule zu schicken, und sei es noch in der Nacht. Zwar seien die Botschaften des Barnabas nicht seine einzige Hoffnung, sonst stünde es schlimm um ihn, aber verzichten wolle er keineswegs auf sie, er wolle sich an sie halten und dabei Olga nicht vergessen, denn noch wichtiger fast als die Botschaften sei ihm Olga selbst, ihre Tapferkeit, ihre Umsicht, ihre Klugheit, ihre Aufopferung für die Familie. Wenn er zwischen Olga und Amalia zu wählen hätte, würde ihn das nicht viel Überlegung kosten. Und er drückte ihr noch herzlich die Hand, während er sich schon auf den Zaun des Nachbargartens schwang.

Das sechzehnte Kapitel

Als er dann auf der Straße war, sah er, soweit die trübe Nacht es erlaubte, weiter oben vor des Barnabas Haus noch immer den Gehilfen auf und ab gehen, manchmal blieb er stehen und versuchte, durch das verhängte Fenster in die Stube zu leuchten. K. rief ihn an; ohne sichtlich zu erschrecken, ließ er von dem Ausspionieren des Hauses ab und kam auf K. zu. “Wen suchst du?” fragte K. und prüfte am Schenkel die Biegsamkeit der Weidenrute. “Dich”, sagte der Gehilfe im Näherkommen. “Wer bist du denn?” sagte K. plötzlich, denn es schien nicht der Gehilfe zu sein. Er schien älter, müder, faltiger, aber voller im Gesicht, auch sein Gang war ganz anders als der flinke, in den Gelenken wie elektrisierte Gang der Gehilfen, er war langsam, ein wenig hinkend, vornehm kränklich. “Du erkennst mich nicht?” fragte der Mann. “Jeremias, dein alter Gehilfe.” – “So”, sagte K. und zog wieder die Weidenrute ein wenig hervor, die er schon hinter dem Rücken versteckt hatte. “Du siehst aber ganz anders aus.” – “Es ist, weil ich allein bin”, sagte Jeremias. “Bin ich allein, dann ist auch die fröhliche Jugend dahin.” – “Wo ist denn Artur?” fragte K. “Artur?” fragte Jeremias. “Der kleine Liebling? Er hat den Dienst verlassen. Du warst aber auch ein wenig grob und hart zu uns. Die zarte Seele hat es nicht ertragen. Er ist ins Schloß zurückgekehrt und führt Klage über dich.” – “Und du?” fragte K. “Ich konnte bleiben”, sagte Jeremias, “Artur führt die Klage auch für mich.” – “Worüber klagt ihr denn?” fragte K. “Darüber”, sagte Jeremias. “daß du keinen Spaß verstehst. Was haben wir denn getan? Ein wenig gescherzt, ein wenig gelacht, ein wenig deine Braut geneckt. Alles übrigens nach dem Auftrag. Als uns Galater zu dir schickte –” – “Galater?” fragte K. “Ja,

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