Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 205)
den Leuten sagen, daß hier kein Widerspruch besteht, daß Klamm bestimmte Gründe hat, so zu handeln, oder daß plötzlich einmal, vielleicht schon in allernächster Zeit, Friedas Erhöhung kommen wird, das alles macht nicht viel Wirkung; die Leute haben bestimmte Vorstellungen und lassen sich durch alle Kunst auf die Dauer von ihnen nicht ablenken. Es hat ja niemand mehr daran gezweifelt, daß Frieda Klamms Geliebte ist, selbst die, welche es offenbar besser wußten, waren schon zu müde, um zu zweifeln. Sei in Teufels Namen Klamms Geliebte, dachten sie, aber wenn du es schon bist, dann wollen wir es auch an deinem Aufstieg merken. Aber man merkte nichts, und Frieda blieb im Ausschank wie bisher und war im geheimen noch sehr froh, daß es so blieb. Aber bei den Leuten verlor sie an Ansehen, das konnte ihr natürlich nicht unbemerkt bleiben, sie merkt ja gewöhnlich Dinge, noch ehe sie vorhanden sind. Ein wirklich schönes, liebenswürdiges Mädchen muß, wenn es sich einmal im Ausschank eingelebt hat, keine Künste aufwenden; solange es schön ist, wird es, wenn nicht ein besonderer, unglücklicher Zufall eintritt, Ausschankmädchen sein. Ein Mädchen wie Frieda aber muß immerfort um ihre Stelle besorgt sein, natürlich zeigt sie es verständigerweise nicht, eher pflegt sie zu klagen und die Stelle zu verwünschen. Aber im geheimen beobachtet sie die Stimmung fortwährend. Und so sah sie, wie die Leute gleichgültig wurden, das Auftreten Friedas war nichts mehr, was auch nur lohnte, die Augen zu heben, nicht einmal die Knechte kümmerten sich mehr um sie, die hielten sich verständigerweise an Olga und dergleichen Mädchen, auch am Benehmen des Wirts merkte sie, daß sie immer weniger unentbehrlich war, immer neue Geschichten von Klamm konnte man auch nicht erfinden, alles hat Grenzen, und so entschloß sich die gute Frieda zu etwas Neuem. Wer nur imstande gewesen wäre, es gleich zu durchschauen! Pepi hat es geahnt, aber durchschaut hat sie es leider nicht. Frieda entschloß sich, Skandal zu machen, sie, die Geliebte Klamms, wirft sich irgendeinem Beliebigen, womöglich dem Allergeringsten, hin. Das wird Aufsehen machen, davon wird man lange reden und endlich, endlich wird man sich wieder daran erinnern, was es bedeutet, Klamms Geliebte zu sein, diese Ehre im Rausche einer neuen Liebe zu verwerfen. Schwer war es nur, den geeigneten Mann zu finden, mit dem das kluge Spiel zu spielen war. Ein Bekannter Friedas durfte es nicht sein, nicht einmal einer von den Knechten, er hätte sie wahrscheinlich mit großen Augen angesehen und wäre weitergegangen, vor allem hätte er nicht genug Ernst bewahrt, und es wäre mit aller Redefertigkeit unmöglich gewesen, zu verbreiten, daß Frieda von ihm überfallen worden sei, sich seiner nicht habe erwehren können und in einer besinnungslosen Stunde ihm erlegen sei. Und wenn es auch ein Allergeringster sein sollte, so mußte es doch einer sein, von dem glaubhaft gemacht werden konnte, daß er trotz seiner stumpfen, unfeinen Art sich doch nach niemandem anderen als gerade nach Frieda sehnte und kein höheres Verlangen hatte, als – du lieber Himmel! – Frieda zu heiraten. Aber wenn es