Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 206)

auch ein gemeiner Mann sein sollte, womöglich noch niedriger als ein Knecht, viel niedriger als ein Knecht, so doch einer, wegen dessen einen nicht jedes Mädchen verlacht, an dem vielleicht auch ein anderes urteilsfähiges Mädchen einmal etwas Anziehendes finden könnte. Wo findet man aber einen solchen Mann? Ein anderes Mädchen hätte ihn wahrscheinlich ein Leben lang vergeblich gesucht. Friedas Glück führt ihr den Landvermesser in den Ausschank, vielleicht gerade an dem Abend, an dem ihr der Plan zum erstenmal in den Sinn kommt. Der Landvermesser! Ja, woran denkt denn K.? Was hat er für besondere Dinge im Kopf? Wird er etwas Besonderes erreichen? Eine gute Anstellung, eine Auszeichnung? Will er etwas Derartiges? Nun, dann hätte er es von allem Anfang an anders anstellen müssen. Er ist doch gar nichts, es ist ein Jammer, seine Lage anzusehen. Er ist Landvermesser, das ist vielleicht etwas, er hat also etwas gelernt, aber wenn man nichts damit anzufangen weiß, ist es doch auch wieder nichts. Und dabei stellt er Ansprüche, ohne den geringsten Rückhalt zu haben, stellt er Ansprüche, nicht geradezu, aber man merkt, daß er irgendwelche Ansprüche macht, das ist doch aufreizend. Ob er denn wisse, daß sich sogar ein Zimmermädchen etwas vergibt, wenn sie länger mit ihm spricht. Und mit allen diesen besonderen Ansprüchen plumpst er gleich am ersten Abend in die gröbste Falle. Schämt er sich denn nicht? Was hat ihn denn an Frieda so bestochen? Jetzt könnte er es doch gestehen. Hat sie ihm denn wirklich gefallen können, dieses magere, gelbliche Ding? Ach nein, er hat sie ja gar nicht angesehen, sie hat ihm nur gesagt, daß sie Klamms Geliebte sei, bei ihm schlug das noch als Neuigkeit ein, und da war er verloren! Sie aber mußte nun ausziehen, jetzt war natürlich kein Platz mehr für sie im Herrenhof. Pepi hat sie noch am Morgen vor dem Auszug gesehen, das Personal war zusammengelaufen, neugierig auf den Anblick war doch jeder. Und so groß war noch ihre Macht, daß man sie bedauerte; alle, auch ihre Feinde, bedauerten sie; so richtig erwies sich schon am Anfang ihre Rechnung; an einen solchen Mann sich weggeworfen zu haben, schien allen unbegreiflich und ein Schicksalsschlag, die kleinen Küchenmädchen, die natürlich jedes Ausschankmädchen bewundern, waren untröstlich. Selbst Pepi war davon berührt, nicht einmal sie konnte sich ganz wehren, wenn auch ihre Aufmerksamkeit eigentlich etwas anderem galt. Ihr fiel auf, wie wenig traurig Frieda eigentlich war. Es war doch im Grunde ein entsetzliches Unglück, das sie betroffen hatte, sie tat ja auch so, als wenn sie sehr unglücklich wäre, aber es war nicht genug, dieses Spiel konnte Pepi nicht täuschen. Was hielt sie also aufrecht? Etwa das Glück der neuen Liebe? Nun, diese Erwägung schied aus. Was war es aber sonst? Was gab ihr die Kraft, sogar gegen Pepi, die damals schon als ihre Nachfolgerin galt, kühl freundlich zu sein wie immer? Pepi hatte damals nicht genug Zeit, darüber nachzudenken, sie hatte zuviel zu tun mit den Vorbereitungen für die neue Stelle. Sie sollte sie wahrscheinlich in

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