Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 80)
sagte der Wirt. “Werden Sie denn nicht verhört?” – “Nein”, sagte K. “Ich ließ mich nicht verhören.” – “Warum nicht?” fragte der Wirt. “Ich weiß nicht”, sagte K., “warum ich mich verhören lassen solle, warum ich einem Spaß oder einer amtlichen Laune mich fügen solle. Vielleicht hätte ich es ein anderes Mal gleichfalls aus Spaß oder Laune getan, heute aber nicht.” – “Nun ja, gewiß”, sagte der Wirt, aber es war nur eine höfliche, keine überzeugte Zustimmung. “Ich muß jetzt die Dienerschaft in den Ausschank lassen”, sagte er dann, “es ist schon längst ihre Stunde. Ich wollte nur das Verhör nicht stören.” – “Für so wichtig hielten Sie es?” fragte K. “O ja”, sagte der Wirt. “Ich hätte es also nicht ablehnen sollen”, sagte K. “Nein”, sagte der Wirt, “das hätten Sie nicht tun sollen.” Da K. schwieg, fügte er hinzu, sei es, um K. zu trösten, sei es, um schneller fortzukommen: “Nun, nun es muß aber deshalb nicht gleich Schwefel vom Himmel regnen.” – “Nein”, sagte K., “danach sieht das Wetter nicht aus.” Und sie gingen lachend auseinander.
Das zehnte Kapitel
Auf die wild umwehte Freitreppe trat K. hinaus und blickte in die Finsternis. Ein böses, böses Wetter. Irgendwie im Zusammenhang damit fiel ihm ein, wie sich die Wirtin bemüht hatte, ihn dem Protokoll gefügig zu machen, wie er aber standgehalten hatte. Es war freilich keine offene Bemühung, im geheimen hatte sie ihn gleichzeitig vom Protokoll fortgezerrt; schließlich wußte man nicht, ob man standgehalten oder nachgegeben hatte. Eine intrigante Natur, scheinbar sinnlos arbeitend wie der Wind, nach fernen, fremden Aufträgen, in die man nie Einsicht bekam.
Kaum hatte er ein paar Schritte auf der Landstraße gemacht, als er in der Ferne zwei schwankende Lichter sah; dieses Zeichen des Lebens freute ihn, und er eilte auf sie zu, die ihm auch ihrerseits entgegenschwebten. Er wußte nicht, warum er so enttäuscht war, als er die Gehilfen erkannte. Sie kamen ihm doch, wahrscheinlich von Frieda geschickt, entgegen, und die Laternen, die ihn von der Finsternis befreiten, in der es ringsum gegen ihn lärmte, waren wohl sein Eigentum, trotzdem war er enttäuscht, er hatte Fremde erwartet, nicht diese alten Bekannten, die ihm eine Last waren. Aber es waren nicht nur die Gehilfen, aus dem Dunkel zwischen ihnen trat Barnabas hervor. “Barnabas!” rief K. und streckte ihm die Hand entgegen. “Kommst du zu mir?” Die Überraschung des Wiedersehens machte zunächst allen Ärger vergessen, den Barnabas K. einmal verursacht hatte. “Zu dir”, sagte Barnabas unverändert freundlich wie einst. “Mit einem Brief von Klamm.” – “Ein Brief von Klamm!” sagte K., den Kopf zurück werfend, und nahm ihn eilig aus des Barnabas Hand. “Leuchtet!” sagte er zu den Gehilfen, die sich rechts und links eng an ihn drückten und die Laternen hoben. K. mußte den großen Briefbogen zum Lesen ganz klein zusammenfalten, um ihn vor dem Wind zu schützen. Dann las er: “Dem Herrn Landvermesser im Brückenhof! Die Landvermesserarbeiten, die Sie bisher ausgeführt haben, finden meine Anerkennung. Auch die Arbeiten der Gehilfen sind lobenswert, Sie wissen sie gut