Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 10)

heben, um ihn ein Stückchen weiter in die Tiefe zu senken; der Gerbermeister und sein Genosse, zufrieden damit, K. endgültig hinausgeschafft zu haben, schoben sich langsam, immer nach K. zurückblickend, durch die nur wenig geöffnete Tür ins Haus, und K. war mit dem ihn einhüllenden Schnee allein. “Gele genheit zu einer kleinen Verzweiflung”, fiel ihm ein, “wenn ich nur zufällig, nicht absichtlich hier stünde.”

Da öffnete sich in der Hütte linker Hand ein winziges Fenster; geschlossen hatte es tiefblau ausgesehen, vielleicht im Widerschein des Schnees, und war so winzig, daß, als es jetzt geöffnet war, nicht das ganze Gesicht des Hinausschauenden zu sehen war, sondern nur die Augen, alte, braune Augen. “Dort steht er”, hörte K. eine zittrige Frauenstimme sagen. “Es ist der Landvermesser”, sagte eine Männerstimme, Dann trat der Mann zum Fenster und fragte nicht unfreundlich, aber doch so, als sei ihm daran gelegen, daß auf der Straße vor seinem Haus alles in Ordnung sei: “Auf wen wartet Ihr?” – “Auf einen Schlitten, der mich mitnimmt”, sagte K. “Hier kommt kein Schlitten”, sagte der Mann, “hier ist kein Verkehr.” – “Es ist doch die Straße, die zum Schloß führt”, wendete K. ein. “Trotzdem, trotzdem”, sagte der Mann mit einer gewissen Unerbittlichkeit, “hier ist kein Verkehr.” Dann schwiegen beide. Aber der Mann überlegte offenbar etwas, denn das Fenster, aus dem Rauch strömte, hielt er noch immer offen. “Ein schlechter Weg”, sagte K., um ihm nachzuhelfen.

Er aber sagte nur: “Ja freilich.”

Nach einem Weilchen sagte er aber doch: “Wenn Ihr wollt, fahre ich Euch mit meinem Schlitten.” – “Tut das, bitte”, sagte K. erfreut, “wieviel verlangt Ihr dafür?” – “Nichts”, sagte der Mann. K. wunderte sich sehr. “Ihr seid doch der Landvermesser”, sagte der Mann erklärend, “und gehört zum Schloß. Wohin wollt Ihr denn fahren?” – “Ins Schloß”, sagte K. schnell. “Dann fahre ich nicht”, sagte der Mann sofort. “Ich gehöre doch zum Schloß”, sagte K., des Mannes eigene Worte wiederholend. “Mag sein”, sagte der Mann abweisend. “Dann fahrt mich also zum Wirtshaus”, sagte K. “Gut”, sagte der Mann, “ich komme gleich mit dem Schlitten.” Das Ganze machte nicht den Eindruck besonderer Freundlichkeit, sondern eher den einer Art sehr eigensüchtigen, ängstlichen, fast pedantischen Bestrebens, K. von dem Platz vor dem Hause wegzuschaffen.

Das Hoftor öffnete sich, und ein kleiner Schlitten für leichte Lasten, ganz flach, ohne irgendwelchen Sitz, von einem schwachen Pferdchen gezogen, kam hervor, dahinter der Mann, gebückt, schwach, hinkend, mit magerem, rotem, verschnupftem Gesicht, das besonders klein erschien durch einen fest um den Kopf gewickelten Wollschal. Der Mann war sichtlich krank und nur, um K. wegbefördern zu können, war er doch hervorgekommen. K. erwähnte etwas Derartiges, aber der Mann winkte ab. Nur daß er der Fuhrmann Gerstäcker war, erfuhr K., und daß er diesen unbequemen Schlitten genommen habe, weil er gerade bereitstand und das Hervorziehen eines anderen zuviel Zeit gebraucht hätte. “Setzt Euch”, sagte er und zeigte mit der Peitsche hinten auf den Schlitten. “Ich werde mich neben Euch setzen”, sagte K. “Ich werde gehen”, sagte Gerstäcker. “Warum denn?” fragte K. “Ich

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