Ungekürztes Werk "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller (Seite 14)

die Welt.

So übereinstimmend mit seinen rührigen Bewohnern nun das schöne Dorf dastand, umso fremdartiger ragte die Kirche aus ihm hervor. Dem Stile oder besser Nichtstile nach stammte sie aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein ovales nüchternes Gebäude mit kreisrunden Fenstern, förmlichen Löchern, war nicht alt und nicht neu, weder der verbrauchte Baustoff noch die mageren geschmacklosen Verzierungen so wenig als der gedankenlose Turm taten die mindeste Wirkung; man ahnte schon von außen die langweiligen hölzernen Bankreihen und die kleinliche Gipsbekleidung des Inneren, den unförmlich bauchigen Taufstein, das lächerliche braune Kanzelfaß; ohne Begeisterung gebaut und keine erweckend, verkündete das Gebäude den untröstlichen Schlendrian, mit welchem es gebraucht wurde. Es sah aus wie ein unnützes sonderbares Möbel in einem Hause, welches der Besitzer aber eigensinnig um keinen Preis veräußern will, weil er seit langen Jahren gewohnt ist, seinen Hut darauf zu stellen, wenn er nach Hause kehrt, oder, wenn man ein wenig artiger sein will, weil sein Firnis auf eine ihm angenehme Weise den Sonnenblick auffängt und auf den Stubenboden wirft.

Aus diesem herzlos unschönen Gebäude nun bewegte sich ein langer Zug sechszehnjähriger Konfirmandinnen quer über die Straße, von einem dicken jovialen Pfarrherrn angeführt, so daß der Postwagen anhalten mußte, bis alle vorbei waren. Schwarz gekleidet, mit gebeugten Häuptern, die tränenden Augen in weiße Taschentücher gedrückt, wallten die zarten Gestalten paarweise langsam vorüber, die keuschen Lippen noch feucht von dem Weine, welchen man ihnen als Blut zu trinken, in der Kehle noch das Brot, welches man ihnen als Menschenfleisch zu essen gegeben hatte. Diese dunkle Mädchenschar mit dem rotnasigen Pfarrer an der Spitze kam Heinrich vor wie ein Flug gefangener Nachtigallen aus dem Morgenlande, welche ein betrunkener Vogelhändler zum Verkauf umher führt. Der Zug schlängelte sich aber auch traumhaft genug unter dem klaren Himmel und durch Land und Leute hin.

Wenn wir solche Dinge in der Weise schildern, wie sie sich dem jungen Wanderer eindrückten, so wird man in derselben nicht die rücksichtslose Art der Jugend verkennen, welche mit einer gewissen, übrigens gesunden Unbestechlichkeit zwischen dem scheinbaren und dem wirklich Anstößigen durchaus keinen Unterschied zugeben will. Da religiöse Gegenstände vor allem nur Sache des Herzens sind, so bringt dieses in seiner aufwachenden Blütezeit das Recht zur Geltung, die Überlieferungen mit seinen angeborenen reinen Trieben in Einklang zu setzen. Wer erinnert sich nicht jener glücklichen Tage, wo man im geräuschvollen schwindelnden Kreisen dieses Rundes erwachend, mit den neuen feinen Fühlhörnern der jungen Seele um sich tastend, von keiner Autorität Notiz nehmen und den Maßstab seines unverdorbenen Gefühles auch an das Ehrwürdigste und Höchste legen will? Wer will wohl bestreiten, daß vielleicht, wenn das Ursprüngliche und also auch wohl Göttliche, das in der jungen Menschenseele liegt, nicht in das hanfene, dürrgeflochtene Netz eines Katechismus, heiße er wie er wolle, abgefangen würde, die schneidende blutige Kritik des Mannesalters und die wildesten Kämpfe verhütet würden? Heinrich hegte eine besondere Pietät gerade für die Begriffe Brot und Wein, das Brot schien ihm so sehr die ewig unveränderte unterste Grundlage aller Erden- und Menschheitsgeschichten, der Wein aber die edelste Gabe der

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