Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 49)

überreden lassen, das Unglück ihres Freundes durch sich, es sei zu vermehren oder zu lindern. – Er bemerkte es ja wohl, ehe dieser Brief ankam, der alle Gleichheit zwischen uns wieder aufhebt, wie sehr zum Schein ich mich nur noch weigerte.

V. TELLHEIM. Ist das wahr, mein Fräulein? – Ich danke Ihnen, Minna, daß Sie den Stab noch nicht gebrochen. – Sie wollen nur den unglücklichen Tellheim? Er ist zu haben. (Kalt.) Ich empfinde eben, daß es mir unanständig ist, diese späte Gerechtigkeit anzunehmen, daß es besser sein wird, wenn ich das, was man durch einen so schimpflichen Verdacht entehrt hat, gar nicht wiederverlange. – Ja, ich will den Brief nicht bekommen haben. Das sei alles, was ich darauf antworte und tue! (Im Begriffe, ihn zu zerreißen.)

Das Fräulein (das ihm in die Hände greift). Was wollen Sie, Tellheim?

V. TELLHEIM. Sie besitzen.

DAS FRÄULEIN. Halten Sie!

V. TELLHEIM. Fräulein, er ist unfehlbar zerrissen, wenn Sie nicht bald sich anders erklären. – Alsdann wollen wir doch sehen, was Sie noch wider mich einzuwenden haben!

DAS FRÄULEIN. Wie? In diesem Tone? – So soll ich, so muß ich in meinen eigenen Augen verächtlich werden? Nimmermehr! Es ist eine nichtswürdige Kreatur, die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken!

V. TELLHEIM. Falsch, grundfalsch!

DAS FRÄULEIN. Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten?

V. TELLHEIM. Sophistin! So entehrt sich das schwächere Geschlecht durch alles, was dem stärkern nicht ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben, was dem Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur Stütze des andern?

DAS FRÄULEIN. Beruhigen Sie sich, Tellheim! – Ich werde nicht ganz ohne Schutz sein, wenn ich schon die Ehre des Ihrigen ausschlagen muß. So viel muß mir immer noch werden, als die Not erfodert. Ich habe mich bei unserm Gesandten melden lassen. Er will mich noch heute sprechen. Hoffentlich wird er sich meiner annehmen. Die Zeit verfließt. Erlauben Sie, Herr Major –

V. TELLHEIM. Ich werde Sie begleiten, gnädiges Fräulein. –

DAS FRÄULEIN. Nicht doch, Herr Major, lassen Sie mich –

V. TELLHEIM. Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen! Kommen Sie nur, mein Fräulein, wohin Sie wollen, zu wem Sie wollen. Überall, an Bekannte und Unbekannte, will ich es erzählen, in Ihrer Gegenwart des Tages hundertmal erzählen, welche Bande Sie an mich verknüpfen, aus welchem grausamen Eigensinne Sie diese Bande trennen wollen –

Zehnter Auftritt

Just. Die Vorigen.

Just (mit Ungestüm). Herr Major! Herr Major!

V. TELLHEIM. Nun?

JUST. Kommen Sie doch geschwind, geschwind!

V. TELLHEIM. Was soll ich? Zu mir her! Sprich, was ist's?

JUST. Hören Sie nur – (Redet ihm heimlich ins Ohr.)

Das Fräulein (indes beiseite zur Franziska). Merkst du was, Franziska?

FRANZISKA. Oh, Sie Unbarmherzige! Ich habe hier gestanden wie auf Kohlen!

V. TELLHEIM (zu Justen). Was sagst du? – Das ist nicht möglich! – Sie? (Indem er das Fräulein wild anblickt.) – Sag es laut; sag es ihr ins Gesicht! – Hören Sie doch, mein Fräulein! –

JUST. Der Wirt sagt, das Fräulein von Barnhelm habe den Ring, welchen ich bei ihm versetzt, zu sich genommen; sie habe ihn für den

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