Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 51)

– Lassen Sie ihn nur kommen, lassen Sie ihn nur kommen! – Fürchten Sie nichts! Er soll Sie mit keinem Blicke beleidigen dürfen! Er hat es mit mir zu tun. – Zwar verdienen Sie es um mich nicht –

DAS FRÄULEIN. Geschwind umarmen Sie mich, Tellheim, und vergessen Sie alles –

V. TELLHEIM. Ha, wenn ich wüßte, daß Sie es bereuen könnten! –

DAS FRÄULEIN. Nein, ich kann es nicht bereuen, mir den Anblick Ihres ganzen Herzens verschafft zu haben! – Ah, was sind Sie für ein Mann! – Umarmen Sie Ihre Minna, Ihre glückliche Minna; aber durch nichts glücklicher als durch Sie! (Sie fällt ihm in die Arme.) Und nun, ihm entgegen! –

V. TELLHEIM. Wem entgegen?

DAS FRÄULEIN. Dem besten lhrer unbekannte Freunde.

V. TELLHEIM. Wie?

DAS FRÄULEIN. Dem Grafen, meinem Oheim, meinem Vater, Ihrem Vater – – Meine Flucht, sein Unwille, meine Enterbung – hören Sie denn nicht, daß alles erdichtet ist? – Leichtgläubiger Ritter!

V. TELLHEIM. Erdichtet? – Aber der Ring? der Ring?

DAS FRÄULEIN. Wo haben Sie den Ring, den ich Ihnen zurückgegeben?

V. TELLHEIM. Sie nehmen ihn wieder? – Oh, so bin ich glücklich! – Hier, Minna! – (Ihn herausziehend.)

DAS FRÄULEIN. So besehen Sie ihn doch erst! – Oh, über die Blinden, die nicht sehen wollen! – Welcher Ring ist es denn? Den ich von Ihnen habe, oder den Sie von mir? – Ist es denn nicht eben der, den ich in den Händen des Wirts nicht lassen wollen?

V. TELLHEIM. Gott! was seh ich? was hör ich?

DAS FRÄULEIN. Soll ich ihn nun wiedernehmen? soll ich? – Geben Sie her, geben Sie her! (Reißt ihn ihm aus der Hand und steckt ihn ihm selbst an den Finger.) Nun? ist alles richtig?

V. TELLHEIM. Wo bin ich? – (Ihre Hand küssend.) O boshafter Engel! – mich so zu quälen!

DAS FRÄULEIN. Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, daß Sie mir nie einen Streich spielen sollen, ohne daß ich Ihnen nicht gleich darauf wieder einen spiele. – Denken Sie, daß Sie mich nicht auch gequälet hatten?

V. TELLHEIM. O Komödiantinnen, ich hätte euch doch kennen sollen.

FRANZISKA. Nein, wahrhaftig; ich bin zur Komödiantin verdorben. Ich habe gezittert und gebebt und mir mit der Hand das Maul zuhalten müssen.

DAS FRÄULEIN. Leicht ist mir meine Rolle auch nicht geworden. – Aber so kommen Sie doch!

V. TELLHEIM. Noch kann ich mich nicht erholen. – Wie wohl, wie ängstlich ist mir! So erwacht man plötzlich aus einem schreckhaften Traume!

DAS FRÄULEIN. Wir zaudern. – Ich höre ihn schon.

Dreizehnter Auftritt

Der Graf von Bruchsall, von verschiedenen Bedienten und dem Wirte begleitet. Die Vorigen.

DER GRAF (im Hereintreten). Sie ist doch glücklich angelangt?

Das Fräulein (die ihm entgegenspringt). Ah, mein Vater! –

DER GRAF. Da bin ich, liebe Minna! (Sie umarmend.) Aber was, Mädchen? (Indem er den Tellheim gewahr wird.) Vierundzwanzig Stunden erst hier und schon Bekanntschaft und schon Gesellschaft?

DAS FRÄULEIN. Raten Sie, wer es ist? –

DER GRAF. Doch nicht dein Tellheim?

DAS FRÄULEIN. Wer sonst als er? – Kommen Sie, Tellheim! (Ihn dem Grafen zuführend.)

DER GRAF. Mein Herr, wir haben uns nie gesehen, aber bei dem ersten Anblicke glaubte ich, Sie zu erkennen. Ich wünschte, daß Sie es sein möchten. – Umarmen Sie mich. – Sie haben meine völlige Hochachtung. Ich bitte um Ihre Freundschaft. – Meine Nichte, meine Tochter liebet Sie. –

DAS FRÄULEIN. Das wissen Sie, mein Vater! – Und ist sie blind, meine Liebe?

DER GRAF. Nein, Minna, deine Liebe ist nicht blind, aber dein Liebhaber – ist stumm.

V. TELLHEIM (sich ihm in die Arme werfend). Lassen Sie mich zu mir selbst kommen, mein Vater! –

DER GRAF. So recht, mein Sohn! Ich höre es; wenn dein Mund nicht plaudern kann, so kann dein Herz doch reden. – Ich bin sonst den Offizieren von dieser Farbe (auf Tellheims Uniform weisend) eben nicht gut. Doch Sie sind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken, in welchem Kleide er will, man muß ihn lieben.

DAS FRÄULEIN. Oh, wenn Sie alles wüßten ! –

DER GRAF. Was hindert's, daß ich nicht alles erfahre? – Wo sind meine Zimmer, Herr Wirt?

DER WIRT. Wollen Ihro Exzellenz nur die Gnade haben, hier hereinzutreten.

DER GRAF. Komm, Minna! Kommen Sie, Herr Major! (Geht mit dem Wirte und den Bedienten ab.)

DAS FRÄULEIN. Kommen Sie, Tellheim!

V. TELLHEIM. Ich folge Ihnen den Augenblick, mein Fräulein. Nur noch ein Wort mit diesem Manne! (Gegen Wernern sich wendend.)

DAS FRÄULEIN. Und ja ein recht gutes, mich dünkt Sie haben es nötig. – Franziska, nicht wahr? (Dem Grafen nach.)

Vierzehnter Auftritt

v. Tellheim. Werner. Just. Franziska.

V. TELLHEIM. (auf den Beutel weisend, den Werner weggeworfen). Hier Just! – Hebe den Beutel auf, und trage ihn nach Hause. Geh! –

(Just damit ab.)

Werner (der noch immer mürrisch im Winkel gestanden und an nichts teilzunehmen geschienen, indem er das hört). Ja, nun!

V. TELLHEIM. (vertraulich auf ihn zugehend). Werner, wann kann ich die andern tausend Pistolen haben?

Werner (auf einmal wieder in seiner guten Laune). Morgen, Herr Major, morgen. –

V. TELLHEIM. Ich brauche dein Schuldner nicht zu werden, aber ich will dein Rentmeister sein. Euch gutherzigen Leuten sollte man allen einen Vormund setzen. Ihr seid eine Art Verschwender. – Ich habe dich vorhin erzürnt, Werner! –

WERNER. Bei meiner armen Seele, ja! – Ich hätte aber doch so ein Tölpel nicht sein sollen. Nun seh ich's wohl. Ich verdiente hundert Fuchtel. Lassen Sie mir sie auch schon geben; nur weiter keinen Groll, lieber Major! –

V. TELLHEIM. Groll? – (Ihm die Hand drückend.) Lies es in meinen Augen was ich dir nicht alles sagen kann. – Ha! wer ein besseres Mädchen und einen redlichern Freund hat als ich, den will ich sehen! – Franziska, nicht wahr? (Geht ab.)

Fünfzehnter Auftritt

Werner. Franziska.

Franziska (vor sich). Ja gewiß, es ist ein gar zu guter Mann! – So einer kömmt mir nicht wieder vor. – Es muß heraus! (Schüchtern und verschämt sich Wernern nähernd.) Herr Wachtmeister! –

Werner (der sich die Augen wischt). Nu? –

FRANZISKA. Herr Wachtmeister –

WERNER. Was will Sie denn, Frauenzimmerchen?

FRANZISKA. Seh Er mich einmal an, Herr Wachtmeister. –

WERNER. Ich kann noch nicht; ich weiß nicht, was mir in die Augen gekommen.

FRANZISKA. So seh Er mich doch an!

WERNER. Ich fürchte, ich habe Sie schon zuviel angesehen, Frauenzimmerchen! – Nun, da seh ich Sie ja! Was gibt's denn?

FRANZISKA. Herr Wachtmeister – – braucht Er keine Frau Wachtmeisterin?

WERNER. Ist das Ihr Ernst, Frauenzimmerchen?

FRANZISKA. Mein völliger!

WERNER. Zöge Sie wohl auch mit nach Persien?

FRANZISKA. Wohin Er will!

WERNER. Gewiß? – Holla! Herr Major! nicht groß getan! Nun habe ich wenigstens ein ebenso gutes Mädchen und einen ebenso redlichen Freund als Sie! – Geb Sie mir Ihre Hand, Frauenzimmerchen! Topp! – Über zehn Jahr' ist Sie Frau Generalin oder Witwe!

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