Biographie Thomas Mann (Seite 2)

Um das Spannungsverhältnis von Individuum und Bürgertum geht es auch in Manns erstem Roman, den Buddenbrooks (1901). Erzählt wird die stark autobiographisch geprägte Geschichte einer Lübecker Kaufmannsfamilie und deren über vier Generation beschriebenen Verfall. Die Figuren des Romans – allen voran Thomas Buddenbrook und seine Schwester Tony – haben sich den Normen des bürgerlichen Erfolgs verschrieben und unterdrücken dafür ihre persönlichen Sehnsüchte und Bedürfnisse. Die eigene seelische Entwicklung, die eigene Liebe und die eigene sexuelle Erfüllung werden kompromisslos dem Zusammenhalt und dem wirtschaftlichen Erfolg der Familie geopfert. Entschärft wird die Darstellung der bürgerlichen Zwänge allerdings wieder durch die humoristische und durchaus wohlwollende Beschreibung der bourgeoisen Familienwelt.

Obwohl Mann sich unsterblich in den Maler Paul Ehrenberg verliebt und sogar an Selbstmord denkt, heiratet er im Februar 1905 die aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammende Katia Pringsheim. Das Paar bekommt sechs Kinder: Erika Mann (1905-1969) wird Schauspielerin, Schriftstellerin und Nachlassverwalterin ihres Vaters; Klaus Mann (1906-1949) lebt offen homosexuell und wird ebenfalls Schriftsteller; Golo (1909-1994), Monika (1916-1992), Elisabeth (1918-2002) und Michael (1919-1977) sind allesamt künstlerisch aktiv oder schlagen akademische Laufbahnen ein.

Die Ehe zwischen Thomas und Katia Mann hält bis zu seinem Tod und ermöglicht dem Schriftsteller ein scheinbar normales bürgerliches Leben. Mann unterdrückt seine homoerotischen Neigungen und hofft im Gegenzug, in die Reihe der größten deutschen Dichter aufgenommen zu werden. Der Plan geht auf; bereits 1910 zählt Thomas Mann zu den bekanntesten deutschsprachigen Autoren und wird öffentlich bewundert. Er ist erfolgreicher als sein älterer Bruder Heinrich – der allerdings zunehmend heftig die Zugeständnisse Manns an die spießbürgerliche Moral kritisiert.

Dementsprechend zwiespältig ist wiederum die Hauptfigur in Manns nächster Arbeit, seiner wohl berühmtesten Novelle Der Tod in Venedig (1912). Hauptfigur ist der etablierte Schriftsteller Gustav von Aschenbach, der sich während seines Urlaubs in Venedig in den 14-jährigen Tadzio verliebt. Aschenbach beobachtet den Knaben nur aus der Distanz, verliert aber völlig die Kontrolle über sein bis dahin rationales Selbst und gibt sich zunehmend zügellos seinen Gefühlen hin. Der Autor zahlt seinen Ich-Verlust – vordergründig dargestellt durch eine Cholera-Infektion – mit dem Tod. Er hat sich von allen gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen gelöst, wird zugleich aber für die Hingabe an seine individualistischen und homoerotischen Neigungen bestraft.

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