Ungekürztes Werk "Der Schuß von der Kanzel" von Conrad Ferdinand Meyer (Seite 15)

edeln und maßvollen Formen eines hellenischen Tempels vor den Augen des entzückten Kandidaten aufsteigen – kurz, er machte ihn glücklich.

Seiner davon unzertrennlichen militärischen Abenteuer gedachte er nur im Vorbeigehen, aber so drastisch, daß Pfannenstiel in der Nähe des alten Landsknechtes sich als einen herzhaften und verwegenen Mann fühlte, während Wertmüller in der naiven Bewunderung seines Zuhörers um einige Dezennien sich verjüngte und erleichterte.

So achtete es Pfannenstiel nicht groß, als der General in der Hitze des Gespräches ihm auf den Leib rückte, von den vier breiten flachen Knöpfen, die sein Gewand zwischen den schmächtigen Schultern vorn zusammenhielten, den obersten abriß und denselben, nachdem er ihn einer kurzen Betrachtung unterworfen, in einen dunkeln Zimmerwinkel warf, dann an einem der mittlern drehte, bis dieser nur noch an einem Faden hing.

Zwischen den Birnen und dem Käse aber änderte sich die Szene. Der General hatte gegen seine Gewohnheit – er war längst ein mäßiger Mann geworden – einige Gläser feurigen Burgunders geleert, und da er, wie man zu sagen pflegt, einen grimmigen Wein trank, begann es ihn denn doch ein bißchen zu wurmen, daß die schöne und tapfere Rahel ihr Herz an einen sanftmütigen, unkriegerischen Menschen, noch dazu an einen »Faffen« verschenkt hatte, und sein Dämon nötigte ihn, den Kandidaten, den er doch leiden mochte, zu gutem Ende noch einmal unbarmherzig zu foppen.

Er befahl dem aufwartenden Hassan, Pulverhorn und Kugelbeutel zu bringen, zog die beiden Terzerole aus seinen Rocktaschen und legte sie vor sich auf die Tafel.

»Die Rahel mag Euch«, wendete er sich jetzt an den Kandidaten, »aber wollt Ihr sie zum Weibe gewinnen, müßt Ihr dem schönen Kinde einmal als ein ganzer Mann entgegentreten. Das wird ihr einen bleibenden Eindruck machen, und Ihr dürft Euch dann ruhig die eheliche Schlafmütze über die Ohren ziehen. – Mein Plan ist ganz einfach: Ich gehe morgen in Mythikon zur Kirche – erstaunt nicht, Pfannenstiel, ich bin kein Heide – und lade mich bei dem Vetter Pfarrer zu Mittag. Natürlich bleibt Rahel zu Hause und besorgt den Tisch, Ihr aber gewinnt bei währendem Gottesdienste auf Schleichwegen die Pfarre, entführt das Mädchen, bringt es hieher und, während Ihr sie küßt, armiere ich die zwei eisernen Kanonen, die Ihr auf dem Hausflur gesehen habt, und verteidige den schmalen Damm, der meine Insel mit dem Festlande verbindet. Treffen! Unterhaltung! Friedensschluß!«

Wäre der Kandidat in seiner natürlichen Verfassung gewesen, er hätte diese Soldatenschnurre belächelt, aber der starke Wein war ihm in den Kopf gestiegen.

»Entsetzlich!« rief er aus, fügte dann aber nach einer Pause und erleichtert hinzu: »und unmöglich! Die Rahel würde niemals einwilligen.«

»Sie wird! Ihr erscheint, werft Euch zu ihren Füßen: Entflieh mit mir! oder …« Er ergriff ein Pistol und setzte es sich an die rechte Schläfe.

»Sie ist eine Christin!« rief der erhitzte Kandidat.

»Sie wird und muß wollen! Jede Figur wird von der männlichen Elementarkraft bezwungen. Kennt Ihr die neueste deutsche Literatur nicht? … den Lohenstein, den Hofmannswaldau?«

»Sie wird nicht wollen – nimmermehr!« wiederholte Pfannenstiel mechanisch.

»Dann fahrt Ihr ab – glorios mit Donner und Blitz!« und Wertmüller drückte los. Der Hahn schlug

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