Ungekürztes Werk "Der Schuß von der Kanzel" von Conrad Ferdinand Meyer (Seite 10)

– Wozu sind die Geleise bürgerlicher Berufsarten da, als daß Euresgleichen sie befahre? Ihr wißt nicht, welcher Schenkelschluß dazu gehört, um das Leben souverän zu traktieren. Steht ab von Eurer Laune!« und er machte die Gebärde, als griffe er einem Rosse in die Zügel, das mit einem unvorsichtigen Knaben durchgegangen ist.

Es entstand eine Pause. Wieder warf der General dem Kandidaten einen beobachtenden Blick zu.

»Ihr seid ein lauterer Mensch«, sagte er dann, »und es war Euer Ernst, Ihr würdet das griechische Abenteuer bestanden haben. Wie reimt sich das mit dem Pfannenstiel, den ich hier vor mir sehe? Da liegt ein Aal unter dem Steine. Ein verrückter Antiquar, wie sie zwischen den Ruinen herumkriechen, seid Ihr nicht. Also seid Ihr desperat. Aber warum seid Ihr desperat? Was treibt Euch weg? Heraus damit! Eine Figur? He? Ihr errötet!«

Der sechzigjährige Wertmüller behandelte die weiblichen Wesen als Staffage und pflegte sie schlechtweg mit dem Malerausdrucke »Figuren« zu benennen.

»Wo habt Ihr zuletzt konditioniert?«

»In Mythikon bei Euerm Herrn Vetter während seiner Gichtanfälle.«

»Bei meinem Vetter? Will sagen bei der Rahel. Nun ist alles klar und deutlich wie mein neuverfaßtes Exerzierreglement. Das Mädchen hat Euch den Kopf verrückt und dann, wie recht und billig, einen Korb gegeben?«

Der zartfühlende Kandidat hätte sich eher das Herz aus dem Leibe reißen lassen, als eingestanden, daß die Rahel – wie er daran nicht zweifeln konnte – ihm herzlich wohlwolle. Er antwortete bescheiden:

»Der Herr Wertmüller, sonst mein Gönner, hat mich verabschiedet, weil ich mit Schießgewehr nicht umzugehen verstehe und mich auch davor scheue. Vor zwanzig Jahren ist damit meiner Familie ein Unglück begegnet. Er nötigte mich, mit ihm in die Scheibe zu schießen, und ich habe keinen Schuß hineingebracht.«

»Ihr hättet Euch weigern sollen. Das hat Euch in Rahels Augen heruntergesetzt. Sie trifft immer ins Schwarze. – Donnerwetter, da fällt mir ein, daß ich dem Alten noch etwas schuldig bin. Der geistliche Herr hat mir, während ich am Rheine bataillierte, meine Meute hier ganz meisterhaft beaufsichtigt. Er ist ein Kenner. Hassan, hol mir gleich das violette Saffianfutteral her, links zu unterst im Glasschranke der Waffenkammer. – Laßt Euch nicht stören, Kandidat.«

Der Mohr beeilte sich, und nach wenigen Augenblicken hielt Wertmüller zwei kleine Pistolen von zierlicher Arbeit in der Hand. Er reinigte mit einem Lederlappen die damaszierten Läufe und den Silberbeschlag der Kolben, in welchen hübsche seltsame Arabesken eingegraben waren.

»Fortgefahren, Freund, in Eurer Elegie!« sagte er. »Das Mädchen also gab Euch einen Korb – oder ist es möglich, liebt sie Euch? Es gibt wunderliche Naturspiele! – und nur der Alte hätte Euch abblitzen lassen, he? Was gab er Euch für Gründe?«

Pfannenstiel blieb erst die Antwort schuldig. Ihm war ängstlich zumute geworden, denn der General hatte, während er sprach, den Hahn der einen Pistole gespannt. Jetzt berührte Wertmüller den Drücker mit ganz leisem Finger, und der Hahn schlug nieder. Er spannte die zweite, streckte den Arm aus, schnitt eine Grimasse; nur nach harter Anstrengung gelang es ihm, loszudrücken. Das Spiel der Feder mußte sich aus irgendeinem Grunde verhärtet haben, und er schüttelte unzufrieden den Kopf.

Der Kandidat, der

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