Ungekürztes Werk "Der Schuß von der Kanzel" von Conrad Ferdinand Meyer (Seite 9)

liegt.‹ – Jetzt unterscheide ich deutlich in den Ecken des Bahrtuches den Namenszug und das Wappen des Jenatschen, und im gleichen Augenblicke wendet er, neben mir stehend, mir das Gesicht zu – fahl mit verglühten Augen. ›Donnerwetter, Oberst‹, sag' ich, ›Ihr liegt dort vorn unter dem Tuche mit Euern sieben Todeswunden und führt hier einen Diskurs mit mir! Seid Ihr doppelt? Ist das vernünftig! Ist das logisch? Schert Euch in die Hölle, Schäker!‹ Da antwortete er niedergeschlagen: ›Du hast mir nichts vorzurücken – mach dich nicht mausig. Auch du, Wertmüller, bist tot.‹«

Pfannenstiel überlief es kalt. Dieser Traum am Vorabende des ohne Zweifel blutigen Feldzuges, welcher dem General draußen im Reiche bevorstand, schien ihm von ernster Vorbedeutung und er sann auf ein Wort geistlicher Zusprache.

Auch Wertmüller konnte seinen Traum, nachdem er ihn einmal mitgeteilt, nicht sogleich wieder loswerden. »Der Oberst wurde von seinem Liebchen mit der Axt wie ein Stier niedergeschlagen«, erging er sich in lauten Gedanken, »mir wird es so gut nicht werden. Fallen – wohlan! Aber nicht in einem Bettwinkel krepieren!«

Vielleicht dachte er an Gift, denn er war am Hofe zu Wien in ein hartnäckiges Intrigenspiel verwickelt und hatte sich dort durch seinen Ehrgeiz Todfeinde gemacht.

»Ehe ich meinen Koffer packe«, fuhr er nach einer Pause fort, »möchte ich wohl noch einen Menschen glücklich machen …«

Dem Kandidaten schoß das Wasser in die Augen, nicht in selbstsüchtigen Gedanken, sondern in uneigennütziger Freude über diese schöne Regung; doch es trocknete schnell, als der General seinen Satz abschloß: – »besonders wenn sich ein kräftiger Schabernack damit verbinden ließe.«

Das abergläubische Gefühl, das den General angewandelt hatte, war rasch vorübergegangen. »Was ist Euer Anliegen?« fragte er seinen Gast mit einer jener brüsken Wendungen, die ihm geläufig waren. »Ihr seid nicht hierhergekommen, um Euch meine Träume erzählen zu lassen.«

Nun berichtete Pfannenstiel dem Generale mit einer unschuldigen List, denn er wollte ihm seine Liebesverzweiflung, für die er ihm kein Organ zutraute, nicht verraten, wie ihn über dem Studium der Odyssee ein unwiderstehliches Verlangen ergriffen, die Heimat Homers, die goldene Hellas kennenzulernen. Da er keinen andern Weg wisse, seine Wanderlust zu befriedigen, sei ihm der Gedanke gekommen, sich bei dem Herrn für die Feldkaplanei seiner venezianischen Kompanie zu melden, die ja in den griechischen Besitzungen der Republik stationiere. »Sie ist erledigt«, schloß er, »und wenn Ihr mir ein weniges gewogen seid, weiset Ihr mir die Stelle zu.«

Wertmüller blickte ihn scharf an. »Ich bin der letzte«, sagte er, »der einem jungen Menschen eine gefährliche Karriere widerriete! Aber er muß dazu qualifiziert sein. Euer Knochengerüste, Freund, ist nicht fest genug gezimmert. Der erste beste relegierte Raufbold von Leipzig oder Jena wird meinen Kerlen mehr imponieren als Euer Johannesgesicht. Schlagt Euch das aus dem Kopfe. Wollt Ihr den Süden sehen, so sucht als Hofmeister Dienste bei einem jungen Kavalier und klopft ihm die Kleider! Doch auch das kann Euch nicht taugen. Das beste ist, Ihr bleibt zu Hause. Blickt aus! Zählt alle die Turmspitzen am See – das Kanaan der Pfarrer. Hier ist Euer Rhodus, hier tanzt – will sagen predigt!

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